Zur Eigensinnigkeit des biographischen Erzählens in der (Flucht-)Migration – eine Fallanalyse

Lalitha Chamakalayil, Oxana Ivanova-Chessex, Bruno Leutwyler, Wiebke Scharathow

1. Einleitung

Das biographische Erzählen findet in machtvollen gesellschaftlichen Kontexten statt. Diese Kontexte sind unter anderem durch verschränkte rassialisierte Migrationsverhältnisse und neoliberale Ordnungen strukturiert (vgl. Goldberg 2009; Lentin/Titley 2011) und reglementieren, was erzählbar, sozial anerkennbar und legitim erscheint und worüber geschwiegen wird. Für das Erzählen einer Migrationsgeschichte hat dies eine besondere Brisanz, denn darin wird etwas thematisch, was hegemoniale nationalstaatliche Denkmuster irritiert und für eine fluide Positionierung der biographischen Erzähler*innen (aber auch der Leser*innen oder zuhörenden Forscher*innen) mal diesseits, mal jenseits des privilegierten Zentrums sorgt. Daraus ergibt sich im Kontext von Forschung die unaufhebbare Verwobenheit von forschender und erzählender Person in den Herstellungsprozess des Raumes, in dem Dinge in je spezifischer Weise erzählbar oder auch nicht erzählbar werden.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen widmet sich der vorliegende Beitrag der Frage, wie sich ein Erzählen über die eigene Migrationserfahrung im Kontext von migrationsgesellschaftlichen neoliberalen Ordnungen, die notwendigerweise immer auch das Forschungssetting durchdringen, gestaltet. Diese Fragestellung wird exemplarisch anhand einer biographischen Erzählung bearbeitet, in der eine Migrations- und Fluchtgeschichte aus Sri Lanka in die Schweiz im Fokus steht. Von besonderem Interesse ist dabei, wie der Biograph mit den gesellschaftlichen Bedingungskontexten erzählerisch umgeht, sich diese aneignet oder neu kontextualisierend aufruft. Die Grundlage für diese Analyse sind Daten eines vom Schweizer Nationalfonds geförderten Projekts, welches biographische Erzählungen von Eltern mit Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse und pädagogische Institutionen analysiert.[1]

Im Zentrum des vorliegenden Beitrags steht die biographische Phase der (Flucht-)Migration. Er fokussiert auf eine Fallanalyse, bei der die Eigensinnigkeit des biographischen Erzählens vor dem Hintergrund migrationsgesellschaftlicher und neoliberaler Ordnungen rekonstruiert wird. Hierfür wird zunächst eine biographie- und subjektivierungstheoretische Perspektivierung vorgenommen. Dabei wird biographische Eigensinnigkeit als ein sensibilisierendes Konzept eingeführt sowie migrationsgesellschaftliche Verhältnisse in ihrer Verwobenheit mit neoliberalen Versprechen als ein Bezugsthema und Kontext der Erzählung betrachtet. Einer ausführlichen Fallrekonstruktion folgt abschliessend eine Rückbindung empirischer Aussagen an die theoretische Rahmung. 

2. Biographische Eigensinnigkeit im Kontext von migrationsgesellschaftlichen und neoliberalen Ordnungen: Theoretische Hinführung

2.1 Biographie und Eigensinnigkeit 

Diesem Beitrag liegt ein subjektivierungstheoretisches Verständnis von Biographie zugrunde. Biographie wird dabei als eine Schnittstelle zwischen dem erzählenden Subjekt und der sozialen Wirklichkeit konzeptualisiert und biographische Daten als ein Zugang zu „Subjekt-Kontext-Relationen“ (Dausien et al. 2016, 30) betrachtet. Der Kontext bezieht sich dabei einerseits auf gesellschaftliche diskursive Bedingungen sowie andererseits auf situative und kommunikative Bedingungen der Hervorbringung einer biographischen Geschichte im Forschungsprozess (vgl. bspw. Spies 2018, 543). In diesem Sinne sind biographische Daten eine “Ko-Konstruktion“ (Dausien 2010, 369) und Biographie ist „die sich immer wieder fort- und umschreibende Geschichte eines gesellschaftlichen Individuums in Relation zu den sozialen Kontexten ihrer Formation“ (Dausien 2011, 114). Das biographische Erzählen verweist damit nicht nur auf Sinnperspektiven des Subjekts, sondern auch auf die soziale Eingebundenheit des sinngebenden Prozesses der Subjektwerdung (vgl. Hanses 2011, 340; Thon 2016, 190). 

Dieses Verständnis von Biographie kann mit der Idee von Butler konkretisiert werden, Biograph*innen-Subjekte als den gesellschaftlichen Bedingungen und Diskursen unterworfen, jedoch handlungsfähig und nicht von diesen determiniert zu denken (vgl. Butler 2001/2013, 2006/2013). Biographie wird dann, in Anlehnung an Butler (2007), als eine narrative Konstruktion des Selbst als sozial anerkennbares Subjekt (Gregor 2018, 91) verstanden. Biographische Lebensgeschichten müssen dann als „Orte des Aufrufens und Weiterleitens von Diskursen“ (Rose 2012, 118) gedacht werden und das biographische Erzählen als diskursiv hervorgebracht (Spies 2018, 538). Mit dieser theoretischen Perspektive kann demzufolge davon ausgegangen werden, dass biographische Erzählungen Hinweise darauf enthalten, wie Biograph*innen-Subjekte soziale Wirklichkeit konstruieren und zugleich, wie gesellschaftliche Bedingungen potentielle Subjektivitäten strukturieren. 

Ein solches Subjekt- und Biographieverständnis macht Momente biographischer Eigensinnigkeit (Thon 2016) rekonstruierbar – jene Momente der Handlungsfähigkeit, in denen sich ein Subjekt zu den Bedingungen seiner Werdung affirmierend, verschiebend oder widerständig verhält. Dabei wird das Subjekt nicht notwendigerweise als Urheber dieser Eigensinnigkeit gedacht, vielmehr wird die Eigensinnigkeit als eine Eigenlogik biographischer Erzählung, ein Resultat der Aneignung und Erzeugung der sozialen Welt konzeptualisiert (vgl. ebd., 188) – ein immanentes, konstitutives Element des biographischen Erzählens. 

Den Schriften von Butler folgend, kann mit Balzer und Ludewig (2012) die eigensinnige Logik des biographischen Erzählens als Handlungsfähigkeit in zweierlei Subjektzusammenhängen verortet werden: erstens im re-iterierenden Subjekt und zweitens im subversiv agierenden Subjekt. Somit ermöglicht erstens eine iterierende, wiederholte performative Bezugnahme auf Diskurse die Potentialität der Eigensinnigkeit im Sinne einer Umdeutung – Resignifizierung – von Subjekt-Kontext-Relationen (Butler 2006/2013, 66). Dabei handelt es sich um eine zitierende Praxis, die das Subjekt und die Bedingungen seiner sozialen Existenz – in ihren Effekten eigensinnig – herstellt (vgl. ebd., 67). Die Handlungsmacht wird im Sprechen verortet, das „sich stets in gewissem Sinne unserer Kontrolle entzieht“, sie fängt „gerade dort an, wo die Souveränität schwindet“ (ebd., 32). Die so verstandene Eigensinnigkeit ist „ein Machteffekt, […] aber nicht von vornherein vollständig determiniert“ (ebd., 218), denn die zitierende Praxis ist nie eine Praxis, die den vorgängigen Verhältnissen identische Verhältnisse erzeugt (vgl. Butler 2001/2013, 20 f.). Das Sprechen macht Fehlaneignungen und Neukontextualisierungen möglich. So betrachtet, ergibt sich die eigensinnige Logik eines biographischen Erzählens aus den „wechselnden Hegemonialisierungen und Antagonismen im Diskurs“ (Thon 2016, 194), sie ist eine ständige Begleitung jedes Sprechens und demzufolge jeder diskursiven Erzeugung des Subjekt-Kontext-Verhältnisses. 

Zweitens ist die Eigensinnigkeit des biographischen Erzählens in einem potenziell subversiven Handeln eingelagert. Eine soziale Existenz des Subjektes konstituiert sich in einer befähigenden und zugleich verletzenden Unterwerfung im diskursiven Kontext (vgl. Butler 1997/2014, 175). Hier ist die Subversion zu verorten, eine Form der Handlungsfähigkeit des Subjektes, die es möglich macht, „von der Anrufung Besitz [zu] ergreifen, von der man bereits in Besitz genommen ist, um die Möglichkeiten der Resignifikation gegen die Ziele der Verletzung zu richten“ (ebd.). Es handelt sich um parodistische, übertreibende, neuformulierende Bezugnahmen auf verfügbare, sozial anschlussfähige Diskurse, deren Bedeutung und Zielrichtungen im Prozess der Resignifikation verschoben und subversiv umgekehrt werden (vgl. ebd., 174, 176). Ein subversives Subjekt bewegt sich deshalb häufig „ausserhalb des Bereiches des Sagbaren“ (Butler 2006/2013, 209, Herv. i. O.), was mit dem Risiko einhergeht, „seinen Status als Subjekt aufs Spiel zu setzen“ (ebd., Herv. i. O.). Mit Balzer und Ludewig (2012, 111) unterwandert das subversive Subjekt die Bedingungen des Sozialen nicht „minimal, ‚nebenbei‘ und quasi ‚im Verborgenen‘, sondern es tut dies – im Vergleich zum handlungsfähigen Subjekt – maximal, zentral und offensichtlich“ (Butler 2001/2013, 103). Die Antwort auf die Frage nach dem Urheber des subversiven Handelns lässt sich mit Butler zunächst in einer „leidenschaftlichen Komplizenschaft“ (ebd.) des Subjektes mit den Bedingungen seiner sozialen Existenz suchen. Das Begehren nach einem sozial anerkennbaren Subjektstatus, das nie vollständig gestillt werden kann – und deshalb verlustmotiviert und melancholisch bleiben muss –, treibt das Subjekt an, sich zu den Bedingungen seiner sozialen Existenz zu verhalten und widerständig zu werden (vgl. Balzer/Ludewig 2012, 116 ff.). Zugleich wird die Reflexivität als ein Moment mit einer subversiven Logik gedacht, als eine „Fähigkeit, sich selbst – die Art seiner Hervorbringung und Bildung selbst – zum Gegenstand zu machen“ (Butler 2002, 129). Die Subversivität des biographischen Erzählens ist hiermit im Bereich der sozialen Versprechen und in Aussicht gestellten sozial anerkennbaren Positionen zu lokalisieren, die im Spannungsfeld „zwischen einem ‚leidenschaftlichen Verhaftetsein‘ und einer ‚melancholischen Identifizierung‘“ (Balzer/Ludewig 2012, 113) bleiben (müssen).

Wird sich auf diese subjektivierungstheoretischen Überlegungen gestützt, so können der Moment der Erzählung und das erzählende Subjekt insofern eigensinnig gedacht werden, indem durch wiederholte Bezugnahmen und Versprachlichungen des Erlebten Verschiebungen und Neu-Deutungen stattfinden können sowie indem das Streben des erzählenden Subjektes, sozial (an-)erkennbar zu bleiben, auch unerreichbare, melancholisch ersehnte Identifizierungen als subversive Momente offen legen kann.

2.2 Biographische Eigensinnigkeit im Kontext von migrationsgesellschaftlichen und neoliberalen Versprechen

Eine so verstandene Eigensinnigkeit der biographischen Erzählung ist in ein Geflecht von migrationsgesellschaftlichen Macht- und Ungleichheitsverhältnissen eingebettet, die auch das Forschungssetting durchdringen. Machtverhältnisse markieren dabei die Grenzen des Anerkennbaren und damit die Grenzen des Sagbaren oder des Erzählbaren, die Biograph*innen und ihre Erzählung konstituieren (vgl. Butler 2006/2013, 32).

Wir betrachten in diesem Beitrag die Verwobenheit von migrationsgesellschaftlichen und neoliberalen Ordnungen als einen Kontext, in dem sich diskursive Abhängigkeiten der Biograph*innen und gleichzeitig ihre Eigensinnigkeit artikulieren. Rassismus wird dabei als eine zentrale Strukturlogik moderner (Migrations-)Gesellschaften betrachtet, „die auf allen Ebenen gesellschaftlicher Wirklichkeit im Sinne einer situativ nutzbaren, durchgängig gegebenen Handlungs-, Deutungs- und Legitimationsoption bedeutsam ist“ (Mecheril/Rose 2014, 135). In dieser Logik werden dichotome Wir-die-Anderen-Verhältnisse hervorgebracht, die hierarchische Positionierungen und Ungleichbehandlungen plausibilisieren und als eine „Matrix der Subjektivierung“ (ebd.) und der Reproduktion hegemonialer Machtverhältnisse fungieren. Überlegungen von Goldberg (2009) sowie Lentin und Titley (2011) folgend, verstehen wir gegenwärtige Formen von Rassismus als mit Prozessen der allumfassenden neoliberalen Ökonomisierung und der Durchsetzung kapitalistischer Ordnungen verwoben und gehen davon aus, dass Neoliberalismus sich verschiedener, alter und gegenwartskonformer Formen von Rassismus bedient bzw. neue Formen von Rassismen kreiert (vgl. Goldberg 2009, 360 ff.). 

Bezogen auf neoliberale Subjektivierungszusammenhänge analysiert Bröckling (2007/2013) mit dem gouvernementalitätstheoretischen Blick das „unternehmerische Selbst“ als eine Form der Subjektivität, die durch ökonomisierte Logiken konstitutiv bestimmt wird und an einer unabschliessbaren Selbstoptimierung orientiert ist: „Die Individuen sollen ihre Macht über sich selbst, ihr Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein und ihre Gesundheit ebenso maximieren wie ihre Arbeitsleistung und ihren Wohlstand“ (ebd., 61). Dabei werden die Selbstoptimierungs- und Selbststeuerungspotentiale nicht (nur) durch Zwänge oder Verbote aktiviert, sondern und gerade auch durch die Illusion von Freiheiten sowie über Anreize, Versprechen und die Aussicht auf deren Erreichbarkeit (vgl. ebd., 61, 79) – vorausgesetzt, Individuen strengen sich genug an. Die meritokratische Annahme, dass gesellschaftliche Positionierungen dem selbstbestimmten und selbstverantworteten Handeln und der Leistungsfähigkeit zu verdanken sind, treibt Individuen an, sich im Sinne der ökonomischen Logiken zu behaupten. Im Umkehrschluss bedeutet dieses Ideal aber, dass gesellschaftliche Risiken und ein wie auch immer verstandenes Scheitern in den Verantwortungsbereich der Individuen verlagert wird (vgl. Bröckling 2002, 25). Neoliberale Versprechen können damit die Ordnungen des Rassismus verschleiern, indem Leistungen der Individuen zu einem vermeintlich zentralen Kriterium der Ressourcenverteilung erhoben werden und struktureller Rassismus tabuisiert wird (vgl. Goldberg 2009, 330 f.).

Im migrationsgesellschaftlichen Kontext wird das meritokratische Prinzip zu einer wichtigen Legitimation und einem Versprechen der Migrations- und Integrationspolitik. Die Selbstoptimierung und hartes Arbeiten werden für migrantisch positionierte Subjekte zu einem Zugehörigkeits- und (häufig) Legalisierungsversprechen. Der Referenzrahmen ist dabei nicht nur der ökonomische Erfolg, sondern die Aussicht, Teil der Gesellschaft zu werden: Mit Bezug zur Integrationspolitik in Deutschland schreibt Castro Varela (2013, 17), dass „Integrationspolitiken auf die Produktion von Subjekten [abzielen], die sich deutsch verhalten, Deutsch sprechen, deutsche Werte und Normen teilen – was immer auch damit gemeint sein soll – und die gleichzeitig nie Deutsche sein können“. Die treibende Kraft der Selbstoptimierung zeigt sich damit in einer Aussicht, in rassistischen Verhältnissen weisser positioniert zu werden – eine Perspektive, die nie in Erfüllung gehen kann, die jedoch antreiben kann, bestmögliche Leistungen zu erbringen. Daraus folgt: „Wer sich nicht integriert, bleibt gewissermaßen notwendiger- und gerechtfertigterweise auf der Strecke“ (ebd.). Integrationspolitisch wird dann die neoliberal aufgeladene Prämisse des Forderns und Förderns (Bröckling/Peter 2014, 132) bedeutsam, die sich in vielen europäischen Staaten an der Schnittstelle von migrations- und integrationspolitischen Rahmenbedingungen artikuliert: Es gilt die Formel „Wer sich anstrengt, wird belohnt“ (Castro Varela 2013, 8), was möglicherweise – ohne Anrecht und Garantie – mit einem abgesicherteren Aufenthaltsstatus belohnt wird. Das meritokratische Prinzip wird dann für migrationsgesellschaftlich deprivilegierter positionierte Subjekte zu einem Versprechen, einem „Mythos“, der als realistisch imaginiert wird, aber (noch) unrealisiert bleibt (Hoffmann 2017, 74). Migrations- und integrationspolitisch wird dann besonders deutlich, wie kapitalistische Leistungswettbewerbslogiken nicht, wie postuliert, Chancengleichheit herbeiführen, sondern als Vorlage für migrationsgesellschaftliche Selektivität fungieren und erwünschte und unerwünschte migrantisch markierte Positionen hervorbringen (vgl. Lentin/Titley 2011, 160 ff.). Im Einklang mit meritokratischen Formeln zieht sich der Staat aus der Verantwortung zurück, während eine Auseinandersetzung mit Rassismus in den privaten Verantwortungsbereich verlagert wird (vgl. Goldberg 2009, 339).

Zusammenfassend gehen wir von einer Situiertheit des biographischen Erzählens (vgl. bspw. Gregor 2018, 90; Haraway 1988) in den migrationsgesellschaftlichen Ordnungen des rassialisierten Neoliberalismus aus, die einen Kontext darstellen, in dem sich Biograph*innen verorten (müssen) und in dem sich ihre erzählerische Eigensinnigkeit entfaltet. Welche Geschichte der Flucht und des Ankommens und wie diese vor dem Hintergrund der geschilderten Bedingungszusammenhänge erzählt werden kann, ist Gegenstand der Datenanalyse. Die eigenen Involviertheiten in die Konstitution solcher Bedingungszusammenhänge im Prozess von Datenerhebung und -interpretation wurden dabei systematisch reflektiert, indem stets nach ihren möglichen Bedeutungen gefragt wurde.

3. Zwischen Deportability und meritokratischen Zukunftsversprechen – eine Fallanalyse 

Für den vorliegenden Beitrag greifen wir auf ein im Rahmen des bereits erwähnten Forschungsprojekts zu Eltern im Kontext gesellschaftlicher Ungleichheitsverhältnisse geführtes biographisches Interview zurück und fokussieren auf das Erinnern an eine Fluchtgeschichte und die ersten Jahre danach im Rahmen der biographischen Erzählung.[2] Wir beginnen mit einem kurzen Einblick in die Biografie des Interviewpartners, anonymisiert Stanley Benson genannt.

Herr Benson ist zum Interviewzeitpunkt 51 Jahre alt. Der erste Kontakt entstand im Rahmen einer persönlichen Anfrage nach Interviewpartnern bei einem Treffen einer sozialarbeiterisch geleiteten Männergruppe in einer Schweizer Grossstadt, in welcher migrantische Väter peer-education in ihrem Umfeld initiieren. Er begegnete der Forscherin schon bei seiner Ankunft im Raum mit freundlichem Interesse und einem kurzen Austausch zu migrationsbezogenen Verortungen – ob sie vielleicht auch Tamilin sei, oder ihre Eltern aus Südindien kämen? Nach der Formulierung der Anfrage vor der Gruppe meldet er sich sofort und als erster mit seinen Kontaktdetails und der Bereitschaft, seine Lebensgeschichte zu erzählen. In einem Protokoll zu dieser ersten Begegnung hält die Forscherin fest, dass es so schien, als wollte er demonstrativ auch vor den anderen (eigentlich nicht uninteressierten) Vätern eine besondere Verbindung zur Interviewerin herstellen – und deutlich machen, dass er die Forscherin in ihrem Vorhaben ausdrücklich und mit Vorbildfunktion für die anderen Männer unterstützt. Im Kontext dieser ersten Begegnung rahmt Herr Benson das zukünftige Interview also deutlich: Er, der nur knapp zehn Jahre älter als die Forscherin ist, ist derjenige, der – als etabliertes Mitglied der Gruppe und als Schlüsselperson in seiner Community, dem Gehör geschenkt wird – der jüngeren Forscherin väterlich und gönnerhaft einen Gefallen tut. Dies hat sicher auch Wirkung auf die Möglichkeiten und Einschränkungen im Erzählen der Biographie – insbesondere hinsichtlich der Notwendigkeit des Erzählens einer Erfolgsgeschichte.

Geboren und aufgewachsen in Sri Lanka als Teil der tamilischen Minderheit, lebte Herr Benson mit seiner Familie in ärmlichen Verhältnissen in einer Küstenregion. Er arbeitet schon jung als Fischer mit seinem alkoholkranken Vater, oft aber auch allein. Parallel schafft er es, nach einigen Rückschlägen die Prüfungen zur Hochschulzugangsberechtigung zu bestehen, entscheidet sich aber aufgrund der Kriegssituation und dem Bedürfnis, Geld zu verdienen, gegen ein Verbleiben in Sri Lanka. 1991 findet dann seine Flucht nach Europa statt: „Dann bin ich 1991 äh in die Schweiz geflogen, aber nicht direkt in die Schweiz, sondern Colombo nach Jugoslawien, Jugoslawien nach Italien, dann Italien nach Schweiz“ (Z. 60–62). Mit dem zitierten Satz fasst Herr Benson seine Flucht zusammen. Das-in-die-Schweiz-Fliegen, so wie es sein Versprecher suggeriert, ist aufgrund der Verhältnisse nicht möglich und er ist gezwungen, Umwege zu nehmen. Er benennt weiter die Stationen seiner Flucht: Erst ein Flug, dann zu Fuss nach Italien, dann mit dem Zug in die Schweiz – fast dreissig Jahre später sind die Routen, die Geflüchtete nehmen müssen, immer noch ähnlich. Diese Route zu nutzen, ist keine freiwillige Entscheidung; es sind Migrationspolitiken, die Menschen dazu nötigen, Wege zu nehmen, die schwierig und gefährlich sind.

In seiner Narration schliesst Herr Benson an hegemoniale Ordnungen an, die ein Erzählen der Migrationsgeschichte entlang der Selbstverständlichkeit von nationalstaatlich definierten Stationen und Staatsgrenzen anbieten. Dadurch, dass er nicht direkt in die Schweiz fliegen kann, muss er andere Wege nehmen – auch über Stationen, die eigentlich nicht durchlässig sein sollten, es aber sind.

In der nachfolgenden Passage erzählt und erinnert Herr Benson sich an die Flucht aus Italien in die Schweiz. 

(4) er hat gesagt ja wenn ich will kann ich mit dem Zug nach Schweiz //mhm// okay er hat gesagt er bringt mich […] Bahnhof von [Italienische Stadt] oder oder so irgendwo //mhm mhm// ich habe kein Geld gehabt, kein Billet, eingestiegen, sofort unter dem Sitz; ja. damals. (.) dann beginnt also fahren der Zug //mhm// aber er hat gesagt also das ist eigentlich es kommt in [Stadt im Grenzgebiet] border weisst du? //mhm// Grenze. um wieviel Uhr so viel; dann hab ich geschaut, und border ist gekommen, ich merke das der Zug hält er dort lange //ja// dann Polizeihund überall; ich sehe das Hund mit Polizei läuft; (.) und dann eine halbe Stunde bleibe ich (.) ich bin nicht erwischt. //mhm// fährt der Zug wieder weiter //mhm// dann bin ich wieder äh zwei Stunden bin ich, also ich konnte nicht also länger unter dem Sitz //ja// dann bin ich WC //mhm// dann Leute waren; haben sie Angst gehabt, //mhm// und sie haben Platz gewechselt, //okay// die Leute, (.) nachher Kontrolle gekommen, und hat gefragt Billet; ich hab gesagt keine. (.) wahrscheinlich äh er hat Polizei angerufen; der Zug ist gekommen, Bahnhof. [Schweizer Grossstadt] Hauptbahnhof; //mhm// ich wollte aussteigen, ich komme raus und dann zwei Polizei wartet auf mich. //mhm//sie haben gefragt Pass. hab ich gesagt keinen oder? sofort haben sie einen Handeschelle.//oh ja// Mitgenommen und damals war in [Schweizer Grossstadt] oben ein Büro, ein Polizeibüro, oder? […] //mhm// ganz kurz //mhm// woher ich komme Name und so; bla bla. (.) wie bin ich gekommen? dann hab ich gesagt unter dem Sitz //mhm// dann hat er Papiere weg alles; und Kaserne. //mhm// Gefängnis. (Z. 84–108)[3]

Mit dem staccato-artigen Erzählstil in dieser Passage, die sich vom Rest des Interviews unterscheidet und in welcher er eine Unmittelbarkeit herstellt, scheint sich Herr Benson in seiner Erinnerung mitten in die Fluchtsituation zu begeben: Er beschreibt eine Abfolge vieler für ihn teilweise unverständlicher Dinge, aneinandergereiht in einer sehr dichten Sequenz. In der Schilderung dieser Momente der Flucht scheint er vor allem als Körper, dem Dinge widerfahren, zu existieren – und es ist dieser Körper, mit dem unpassenden Harndrang, der ihn dann zwingt, sichtbar zu werden und seinen geschützten Platz unter dem Sitz zu verlassen –, um dann zu bemerken, dass er Angst bei seinen Mitreisenden auslöst. Nach seiner Verhaftung in der Schweizer Grossstadt wird ihm mitgeteilt, dass er zurück nach Sri Lanka geschickt wird. Er wird – wieder im Zug, aber in einem geschlossenen Abteil und bewacht – an die Grenze gebracht, wo er dann aber von anderen Polizisten in eine Asylunterkunft gebracht wird, um dann einige Wochen später, wahrscheinlich im Zuge kantonaler Verteilungsschlüssel, wieder in die gleiche Schweizer Grossstadt zurückgebracht zu werden.

Die Prozesse und Details der Grenzkontrollen, der Formalitäten des Asylwesens und der rechtlichen Situation, die ihm nun, viele Jahre später, mit gesichertem Aufenthaltsstatus wie auch durch die Thematisierungen der aktuellen Fluchtbewegungen, bekannt sein müssten, werden hier von ihm so geschildert, wie er sie zu diesem Zeitpunkt wahrgenommen hat: bedrohlich, undurchschaubar, und als Abfolge von Prozessen, die er nicht versteht. Er schildert sich als Spielball von Ereignissen, denen er ausgeliefert ist und auf die er keinerlei Einfluss hat. Es bleibt bei der Art, wie Herr Benson diesen Abschnitt seiner Flucht schildert, keine Zeit für eine Reflexion oder ein Thematisieren der Gefühlsebene. Herr Benson scheint diese Sequenz nicht aus der Perspektive des vorbildhaft integrierten Schweizer Bürgers – ein Bild, welches er gerne projiziert und wie er sicher inzwischen auch oft wahrgenommen wird – zu erzählen, sondern zurückversetzt in die Situation des Geflüchteten, verstrickt in die restriktiven Migrationspolitiken Europas. In der Narration scheint er sich wieder auf der Flucht zu befinden, ausgerüstet mit wenigen Details, die ihm Bekannte mit auf den Weg gegeben haben – welchen Zug er zu nehmen habe, um wieviel Uhr er die Grenze überschritten haben wird, und dass er sich zu verstecken habe.

Auffällig ist auch das Code-Switching: Der Begriff Grenze wird von Herrn Benson zunächst in der englischsprachigen Version gewählt – border. Vermutlich fliesst in seine Erzählung die Sprache der Flucht mit ein und verwebt sich mit dem im Interview dominanten Deutschen. Border, also die Grenze, ist letztlich die Gegebenheit oder in materiellen Konsequenzen reale Imagination, die aus Herrn Benson einen fliehenden und entrechteten Körper macht.

Stanley Benson fokussiert im Erzählen seiner Ankunft in der Schweiz auf seine Arbeitserfahrungen – gesetzliche Regelungen scheinen ihm nach drei Monaten das Ausüben einer Tätigkeit zu erlauben.

eben nachher ähm bin ich in [Schweizer Grossstadt], dann war ich in X-Dorf //mhm// in unserer Asylunterkunft; war ich dort drei Monate lang, nachher durfte ich arbeiten, ich habe eine Stelle gefunden, (.) also ich [Schweizer Grossstadt][…] dann durfte ich arbeiten, […] dann in [Stadtteil] habe ich eine Stelle gefunden, in einem Restaurant //mhm// ein Monat- ein Jahr lang gearbeitet, dann hab ich äh Kündigung bekommen, die wegen Gründe die Betrieb also die läuft nicht //mhm// dann hab ich eine Stelle gefunden wieder, in [bekannte Restaurantkette] in [Stadtteil] das ist erste [bekannte Restaurantkette] der Schweiz; gegründet hat. //mhm// dort zweiundhalb Jahre gearbeitet. (Z. 143–163)

Er fängt an, in der Gastronomie zu arbeiten, und nach einigen Wechseln gelingt es ihm, eine Arbeitsstelle in einer international bekannten Restaurantkette – und hier auch noch im Stammhaus – zu bekommen – eine Tatsache, die er mit Stolz erzählt. Er ist, so schildert er es, vor allem durch die Arbeit in der Schweiz angekommen und es gelingt ihm, ein Ein- und Auskommen sicherzustellen. In seiner Erzählung greift Herr Benson die migrations- und integrationspolitisch immer wieder betonte Figur auf, dass denen, die bereit sind, hart zu arbeiten, der Weg, in der Schweizer Gesellschaft erfolgreich zu sein, offenstehen wird. Er beschreibt sich als einen an den Kriterien von Integrationsversprechen gemessen erfolgreichen und damit legitimen Bewohner der Schweiz. Seine Erzählung lässt sich entsprechend mit der gesellschaftlich relevanten Diskursfigur des guten Migranten, der den neoliberalen Prinzipien folgend hart arbeitet, damit ihm Anerkennung zusteht, kontextualisieren. Zugleich ist zu berücksichtigen, dass er diese Schilderung seiner Selbst als Aktivbürger, der sich, sobald ihm dies asylrechtlich gestattet war, um Arbeit bemühte, an eine Forscherin (of colour) richtet, die als Angestellte einer Schweizer Hochschule als Etablierte im Schweizer System gelten kann. Insbesondere durch seine Arbeitsstelle – in einem auch im Ausland bekannten und mit positiven Klischeebildern der Schweiz besetzten Unternehmen – gelingt es ihm, so schildert er es der Interviewerin, anzukommen und Fuss zu fassen. 

Nach drei Jahren, 1994, wird sein Asylantrag jedoch trotz aller Anstrengungen abgelehnt. Im Zuge einer Anordnung des Bundesrats soll im selben Jahr bei 12.000 Bürger*innen Sri Lankas, die nach dem Stichtag 30.06.1990 Asyl beantragt haben, bei einer Ablehnung eine Wegweisung vollzogen werden (vgl. Stürzinger 2002). Da der festgelegte Stichtag vor dem Eintreffen von Herrn Benson in der Schweiz liegt, droht dies auch ihm. Stürzinger (ebd., 7) schreibt: „[D]as BFF [das damalig zuständige Bundesamt für Flüchtlinge] setzte in kurzer Zeit für über 5000 Asylbewerber aus Sri Lanka definitive Ausreisefristen an. Die Folgen waren verheerend. Tausende von Tamilen tauchten unter oder reisten illegal ins Ausland.“[4]

Herr Benson ist in dieser Phase nicht mehr ein Migrant, der sich einen Platz in der Schweizer Gesellschaft erarbeitet. In der formalrechtlichen Anordnung wird er wieder, wie in der Fluchtsituation, zum Teil einer grossen, natio-ethno-kulturell definierten Gruppe, die nicht bleiben darf:

wurde damals mein Asyl abgelehnt; //ah ja// Wegweisung bekommen damals 12.000 Tamilen müssen zurück! //°ah ja mhm°// oh dann war äh schwierige Zeit und dann hab ich (.) ähm wurde meine Arbeit gekündigt; also von Polizei, //°ah ja° // keine Arbeit gehabt; keine Wohnung gehabt; //mhm// ich war auf der Strasse. (Z. 163–170)

Die Konsequenzen sind für Herrn Benson unmittelbar spürbar: Er kann nicht länger arbeiten; seine Wohnung, die er sich mit anderen teilt, wird zu einem gefährlichen Ort, weil er dort zu finden ist, und er wird obdachlos. Nicht nur sein aufenthaltsrechtlicher Status wird illegalisiert, sondern auch seine alltäglichen Aktivitäten – wie arbeiten, sich in der Stadt frei bewegen oder einkaufen – werden im Zuge des behördlichen kollektiven Wegweisungsbeschlusses zu illegalen Handlungen (vgl. zu Folgen der Illegalisierung De Genova 2002, 427). Die für ihn plötzlich und willkürlich kommende Entscheidung nicht näher benannter offizieller Stellen widerspricht dem ihm bekannten und bisher orientierungsgebenden meritokratischen Versprechen, dass er durch Aktivität, harte Arbeit und Zielstrebigkeit erfolgreich sein wird. 

Die Rückkehr nach Sri Lanka ist für ihn keine gangbare Option. Er taucht für mehr als vier Jahre unter und findet Unterschlupf in einer Kirchengemeinde, wo er verbleibt, bis sich die politische Situation in der Schweiz für ihn stabilisiert hat. In dieser Zeit arbeitet er, trotz des Versteckens, im begrenzten Rahmen als Hausmeister der Kirchengemeinde, knüpft dort Freundschaften, hat aber auch Phasen schwerer Depression, über die er im Interview spricht. Die restriktive Asylpolitik der Zeit macht ihn wieder zum entrechteten Körper, der fremdbestimmt ist und sich nicht frei bewegen darf. Er berichtet detailliert von dieser Zeit und schildert, wie er in eine Erstarrung gezwungen wurde und in der Illegalisierung in einer Warteposition verharren musste. Das Versprechen auf eine bessere Zukunft ist nun widerrufen worden (vgl. zu Widerrufbarkeit der Zukunftsversprechen im Kontext von Migration Carter 1997, zit. nach De Genova 2002, 427). 

Letztlich ist Herr Benson aber in den spezifischen Rahmenbedingungen seines Kirchenasyls geschützt vor Kontexten, in denen er seine Arbeitskraft in hochrisikoreicher Art und Weise, rechtlich völlig ungeschützt, einsetzen muss – eine Situation, zu der viele illegalisierte Menschen in einem solchen Szenario der Schaffung plötzlicher Deportabilität (De Genova 2002, 2007) durch Regeländerungen gezwungen werden. Bedingungen des Nicht-Sein-Dürfens schaffen eine Gruppe entrechteter und ausbeutbarer Arbeitskräfte und -körper, die günstig und hart arbeitend, ausserhalb von Qualifikationsmassnahmen, gewerkschaftlichen Forderungen und Besteuerung, letztlich der Schweizer Wirtschaft zur Verfügung stehen.

Migrationsregelungen und -politiken, die sich innerhalb weniger Jahre vollständig verändern, wie auch Zuständigkeiten und Autoritäten, die Entscheidungskompetenz haben könnten, stellen sich Herrn Benson als intransparent und verwirrend dar: Selbst im Rückblick kann er die zuständigen Stellen nicht korrekt benennen und versucht stattdessen, Institutionen aufzuzählen, die aus seiner Perspektive mit den Fragen von Aufenthalt und Ausweisung zu tun haben könnten: Botschaft(en), Konsulate oder vielleicht das Bundesministerium für Migration? Nach einigen Jahren zeigen sich Aufweichungen – Herr Benson erzählt von seinem Auftauchen:

und dann nachher also ähm::: (.) Botschaft hat entschieden- also Schweizer Konsulat oder die BfM, dürfen vorläufig bleiben, (.) weil es ist immer wieder Krieg dort. //mhm// dann bin ich angemeldet wieder, bei Kreisbüro, […] habe ich- dann haben sie gefragt, ja wo waren sie so lange? (.) ich habe gesagt ja überall; beim Freund und so so; hab ich nicht erzählt wo ich war //mhm// dann habe ich ein sechs Monate Visum bekommen; also vorläufig. (Z. 228–234)

Letztlich ist er aber erst nach sechs Jahren – nach Verzögerungen in der Umsetzung der gesetzlichen Regelung und Protesten vor allem durch die Community – wieder legal in der Schweiz.

Diese biografische Erzählung einer einzelnen Person, die von den sich immer wieder verändernden migrationspolitischen Regelsetzungen betroffen ist, kann auch mit Blick auf den Umgang der Schweiz mit Flucht und Migration betrachtet werden. Stürzinger (2002) formuliert die These, dass Geflüchtete aus Sri Lanka das Asylwesen der Zeit im Sinne der Neuschaffung und Umstrukturierung der damals damit beauftragten Institutionen der Schweiz massgeblich geprägt haben.[5] In den lebensgeschichtlichen Erfahrungen von Stanley Benson spiegeln sich diese Regelungen konkret wider: Herr Benson erinnert sich in seiner Schilderung, 25 Jahre später, an die konkrete Zahl derer, die von der Neuregelung zu den Geflüchteten aus Sri Lanka und der Wegweisung betroffen sind: „Wegweisung bekommen damals 12.000 Tamilen müssen zurück!“ – eine Zahl, die zum damaligen Zeitpunkt sicher zum öffentlichen medial und migrationspolitisch vermittelten Wissen zählte.

Mit einem nun erteilten „Visum“, so benennt Herr Benson die Papiere, die ihm einen Aufenthalt ermöglichen, tritt er nun eine Stelle bei einer anderen Filiale der gleichen Restaurantkette an:

mit dem bin ich in X-strasse bei [Schweizer Restaurantkette] dort eine Stelle bekommen nur stundenweise […] hab ich angenommen, dann hab ich mehr interessiert immer, einmal als ich gearbeitet habe; ich habe im Service gearbeitet; //mhm// dann der Gast- war fünf Gäste, hab ich bedient und er hat gesagt das ist eine exzellentes Service und so. erstes Mal er sieht das; und dann in diesem Moment kommt der der Chef vorbei //mhm// und dann //@(.)@// er sofort hört er das- dann er hat gebremst und dann er hat auch etwas gesagt mit dem Gast- dann er hat auch mit ihm geredet und so; vorbei. //mhm// (.) gleichen Tag am Abend ruft er Chef Stanley komm da in=s Büro //mhm// mich. hingehen. dann er hat gesagt; Stanley es ist so. also wir möchten dich gerne hundert Prozent anstellen; //ja// ob ich will. hab ich gesagt natürlich ja gerne. //@(.)@// dann hab ich eine hundertprozentige Stelle bekommen, //mhm// ab an dem Tag. ab //mhm// ja. dann nächster Tag hundert Prozent hab ich gearbeitet, und so:::. (Z. 235–247)

Indem er berichtet, dass er in das gleiche Unternehmen zurückkehrt, in dem er vor seinem erzwungenen Untertauchen gearbeitet hat, stellt Herr Benson Kontinuität her. Er erzählt seine Geschichte als eine letztlich kohärente Geschichte mit Happy End, innerhalb derer er eine Zeit der Willkür, in welcher er weder Entscheidungen noch Begründungen nachvollziehen konnte, ertragen musste, diese letztlich aber hinter sich lassen konnte. Mit den richtigen Papieren kann er wieder eigene Entscheidungen treffen.

Nach Änderungen der Migrationspolitiken zu seinen Gunsten schildert er, wie er versucht, entsprechend den diskursiven Versprechen des Erfolgs durch Arbeit, auf die er sich in seiner Ankunftszeit in der Schweiz bezog, zu agieren. Endlich scheinen sich diese für ihn zu erfüllen: Durch seine umsichtige und fleissige Arbeit gelingt ihm ein Aufstieg von einer Hilfsposition zu einem fest angestellten Mitarbeiter mit einem vollen Pensum – und, damit verbunden, eine gute finanzielle Absicherung, die sich auch positiv auf potentielle aufenthaltsrechtliche Fragen auswirken kann. Die geänderten Migrationspolitiken, die seine Existenz in der Schweiz wieder legitimieren, ermöglichen ihm nun, den mit seinem Migrationsprojekt verknüpften angestrebten Weg von persönlichem Erfolg, Familiengründung, Stabilität und Schweizer Staatsangehörigkeit zu beschreiten. 

4. Herstellung des biographischen Eigensinns im Kontext von meritokratischen Versprechen der Migrationsgesellschaft: ein Fazit

Wenn wir zusammenfassend fragen, wie sich die Eigensinnigkeit des biographischen Erzählens (Thon 2016) im geschilderten Beispiel entfaltet und welche Formen sie im Kontext von hegemonialen Ordnungen des Rassismus und des Neoliberalismus einnimmt (Goldberg 2009; Lentin/Titley 2011), erscheinen folgende Aspekte interessant:

Zunächst wird eine Erfolgsgeschichte erzählt. Biographische Ereignisse werden so aufgeschichtet, dass eine Widerständigkeit gegenüber Ausgrenzungen und Unterwerfungen, Prekarisierung und Illegalisierung deutlich wird und die Biographie in einem Erfolg enden muss. Die Geschichte wird aus der Gegenwartsperspektive erzählt, in der der Biograph in seiner Legitimität nicht mehr bedroht wird und er diesen Erfolg als seine persönliche Leistung erzählen kann. Durch die Art, wie er sich im Rahmen des ersten Kontakts gegenüber der Interviewerin, aber auch im Kontext des Sozialprojekts oder seines Engagements in der Kirchengemeinde präsentiert – als etablierter Community Leader, als väterlich-unterstützende Figur –, ist eine Erfolgserzählung naheliegend und eine andere Erzählung nur in einzelnen Momenten möglich. 

Zugleich knüpft der Biograph an einen hegemonialen Migrations- und Integrationsdiskurs an, der eine Zugehörigkeitsperspektive über die harte Arbeit in Aussicht stellt: Diejenigen, die hart arbeiten, sich anpassen und sich nicht beschweren, denen wird es gut gehen (vgl. dazu kritisch Castro Varela 2013) – dies ist das Versprechen von Migrations- und Integrationspolitiken und gleichzeitig das Versprechen kapitalistisch strukturierter Leistungsgesellschaften (Bröckling 2007/2013, 61), welche in der Konstruktion des Biographen in Erfüllung gehen. Ein hartes Arbeiten wird als ein Weg in die Anerkennung und das Sichtbar-Werden als guter Arbeiter eingeführt. Gleichzeitig geht eine Beschäftigung in der Gastronomie – wie jedes hierarchisch und kapitalistisch organisierte Arbeitsverhältnis – mit Unterwerfung einher, ist aber darüber hinaus auch ein Bereich, in welchem oft illegalisierte Menschen unsichtbar und zu schlechten Bedingungen im Hintergrund arbeiten. Der Biograph nimmt die Position ein, die in diesen Verhältnissen für ihn vorgesehen ist. Dadurch bleibt er aber auch im Rahmen des Möglichen handlungsfähig – zum Beispiel, indem er besonders zuvorkommend im Kundenkontakt ist und sich so Spielräume eröffnet. Den Arbeitskontext sieht er als Chance: Es gelingt ihm, eine legale Vollzeitstelle in der Gastronomie zu bekommen – oft eine Selbstverständlichkeit für unhinterfragt Zugehörige in der Schweizer Arbeitswelt, aber nicht für z. B. Personen mit seinem Aufenthaltsstatus. Auf der Basis dieser stabilen Grundlage, mit dem Ende der Ungewissheit, sind ihm dann Dinge wie Lebensplanung und Absicherung möglich. Erfolg findet innerhalb dieser Strukturen und Platzanweisungen für Migrant*innen und Geflüchtete statt und sein persönlicher Triumph kann entsprechend auch als eine ihm zustehende finanzielle und rechtliche Gleichstellung mit anderen Arbeitenden gesehen werden.

Zusammenfassend lassen sich in der Fallanalyse biographische Dynamiken rekonstruieren, die in einer Relation zu hegemonialen Migrations- und Integrationsdiskursen stehen. Während die biographische Kontinuität über die Beschäftigung in der Gastronomie hergestellt wird, wird diese Kontinuität durch eine sich verändernde und restriktiver werdende Migrationspolitik durchbrochen. Kontexte hegemonialer Diskurse verunmöglichen oder unterbrechen den Lebensentwurf Erfolg durch harte Arbeit und rufen einen forcierten Stillstand, ein Erstarren und schwere depressive Phasen hervor, die der Biograph zu ertragen hat. Er sieht keine andere Option, als darauf zu warten, dass er sich wieder diesen hegemonialen Versprechen zuwenden kann und fügt sich dann Platzanweisungen, da sie von ihm als erfolgsversprechend wahrgenommen werden.

Unter Rückgriff auf die subjektivierungs- und biographietheoretischen Prämissen zeigt sich die eigensinnige Logik der hier rekonstruierten Erzählung resümierend in folgenden Momenten: Durch die Erzählung einer Erfolgsgeschichte erzeugt sich der Biograph als ein Subjekt, das es schafft, auf die Seite der Handlungsfähigen zu wechseln und Kontrolle über sein Leben zu erlangen. Seine gegenwärtige soziale Positionierung ermöglicht ihm Bezugnahmen auf vergangene Ereignisse, die sich in diesem Gegenwartskontext als ein Weg zum Erfolg lesen lassen. Illegalisierung, Deportabilität und Widerrufbarkeit von Zukunftsversprechen (vgl. De Genova 2002, 427) lassen sich im Kontext dieser biographischen Erzählung anders deuten, als wenn die gleiche Lebensgeschichte von einem anderen zeitlichen oder sozialen Standpunkt aus erzählt würde. Die Eigensinnigkeit der Erzählung lässt sich damit in einer zeitlich und kontextuell verschobenen und hierdurch anders gelagerten, resignifizierten Betrachtung (vgl. Butler 2006/2013, 66) vergangener Ereignisse verorten. Diese Ordnung vergangener Ereignisse ist nicht zuletzt im situativen Interviewkontext mit einer spezifisch positionierten Forscherin verortet zu betrachten, der eine Erfolgsgeschichte präsentiert wird und deren Positioniertheit in relevant werdenden Verhältnissen die Erzählung ko-konstruiert (Dausien 2010, 369).

Das Begehren nach einem sozial – gesellschaftlich aber auch von der Interviewerin – anerkennbaren Subjektstatus und zugleich ein melancholisch-unerfüllbarer Wunsch (vgl. Butler 2001/2013, 126), bedingungslos dazuzugehören, bilden dabei eine treibende Kraft, um in einem legitimen und sozial legitimierten Zusammenhang nach einem Ort zu suchen, an dem diesem Begehren nachgegangen werden kann. Die Arbeit, und spezifisch die Arbeit in der Gastronomie, konstruiert Stanley Benson als einen solchen Ort, der ihn näher an seine Wünsche bringt. Andere (berufliche) Begehren scheinen (zunächst) subjektiv nicht relevant oder vor dem Hintergrund der diskursiven und gesetzlichen Gegebenheiten vielleicht auch nicht möglich zu sein. Die auf hegemoniale Diskurse bezogene Deutung der Lebenserfahrungen beinhaltet zentral aktivierungspolitische Vorstellungen von einem selbstbestimmten und für eigene Lebensverläufe allein verantwortlichen Subjekt. Mögliche Ängste und das durchaus vorstellbare Scheitern des meritokratischen Mythos werden nicht zur Sprache gebracht. Stattdessen steht die Hervorhebung der eigenen Bemühungen und Leistungen als Erfolgsbedingungen im Vordergrund – vielleicht als ein Weg, um mit eventuell bestehenden Ängsten umgehen und an der Idee der Realisierbarkeit der Versprechen festhalten zu können (vgl. auch Hoffmann 2017, 87) oder um die eigene Handlungsfähigkeit zu unterstreichen. Diese Involviertheit und Positionierung als ein meritokratische Ideale verwirklichendes Subjekt macht es zugleich risikoreich, die eigenen rassismusbedingten Verlusterfahrungen und unrealisierte Begehren zum Thema zu machen (vgl. Goldberg 2009, 330 f.). Denn die Gründe hierfür müssten dann im eigenen Handeln und nicht in den dieses Handeln rahmenden Strukturen gesucht werden (Bröckling 2002, 25). 

 

Literaturverzeichnis

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[1] „Eltern und Schule im Kontext gesellschaftlicher Ungleichheitsverhältnisse – eine subjektivierungs- und biographietheoretisch orientierte Studie“, Projektlaufzeit: 01/2018–12/2020, Projektleitung: Prof. Dr. B. Leutwyler, PH Zürich; Mitarbeitende: Oxana Ivanova-Chessex, PH Zürich, Lalitha Chamakalayil, FHNW Nordwestschweiz, Wiebke Scharathow, PH Freiburg.

[2] Die biographischen Interviews (Schütze 1983) wurden mit Eltern durchgeführt und im Sinne der biographischen Fallrekonstruktion (Fischer-Rosenthal/Rosenthal,1997; Rosenthal,1995, 2011) analysiert.

[3] Transkribiert wurde mit den Transkriptionsregeln TiQ nach Przyborski/Wohlrab-Sahr (2008), die leicht modifiziert wurden.

[4] Stürzinger (2002) schildert den Ablauf wie folgt: 1991 wird eine interne Weisung über die Wegweisungspraxis für Tamilen erlassen, die Wegweisungen in Einzelfällen für zulässig erklärt. 1993 leben schätzungsweise 25.000 Tamilen in der Schweiz. 1994 wird ein Abkommen über „die Rückkehr in ‚Sicherheit und Würde‘“ (ebd., 7) zwischen der Schweiz und Sri Lanka geschlossen. Daraufhin folgt eine Anordnung des Bundesrats, dass bei 12.000 Bürger*innen Sri Lankas, die nach dem Stichtag 30.06.1990 Asyl beantragt haben, bei einer Ablehnung eine Wegweisung vollzogen werden soll. Die Umsetzung gestaltet sich schwierig durch Verzögerungen in der Ausstellung der Papiere; viele Betroffene werden in die Illegalisierung gezwungen. Anfang 2000 protestieren 10.000 Menschen vor dem UNO-Gebäude in Genf. Es folgt der Beschluss des Bundesrats, ca. 7.500 Personen aufzunehmen, welche vor dem 31.12.1992 eingereist waren; Asylanträge ab 1993 werden abgewiesen. Jedoch gibt es seit 1994 wenig Rückkehrer*innen.

[5] Einen kurzen Überblick gibt Stürzinger (2002): Nach Beginn des Bürgerkriegs in Sri Lanka 1983 werden 1985 25 % aller Asylgesuche in der Schweiz von Geflüchteten der tamilischen Minderheit gestellt. 1986 wird das Amt des Delegierten für das Flüchtlingswesen (DFW) geschaffen, welches 1990 durch das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) ersetzt wird.