Methodische und methodologische Grenzüberschreitungen in der Migrationsforschung – Die Erforschung familiärer Erinnerungspraktiken

Anna Schnitzer

 

1. Einleitung

Im Kontext von Migrations- und Fluchtbewegungen herrscht auf politischer und gesellschaftlicher Ebene, aber auch in Bezug auf die Forschung häufig ein Fokus auf Formen, Möglichkeiten und Bedingungen der Integration in die Aufnahmegesellschaft vor (vgl. auch Yildiz 2014).[1] Dabei gerät bisweilen aus dem Blick, was es für Menschen und für Familien bedeutet, in einem neuen Kontext zu leben, sich (als Familie) einzurichten und in den sich vollziehenden Transformationsprozessen auch Kontinuitäten herzustellen (vgl. auch Riegel/Stauber 2018). Dieses Spannungsfeld von Kontinuität und Veränderung wird in dem Projekt, auf dem dieser Beitrag beruht, näher in den Blick genommen.[2] Dafür werden in der laufenden Studie weniger die Integrationsmöglichkeiten in die Aufnahmegesellschaft als vielmehr innerfamiliäre Erinnerungs- und Konstitutionsprozesse unter Bedingungen von Migrations- und Fluchtbewegungen im Kontext migrationsgesellschaftlicher Ungleichheitsverhältnisse untersucht (Broden/Mecheril 2007). Was bedeutet es für Familien, in einem neuen Kontext anzukommen und welche Rolle spielen dabei familiäre Erinnerungsprozesse? Im Zentrum des Projektes stehen im Anschluss daran soziale Erinnerungspraktiken von Familien in der Migration, die sowohl aus ethnographischer als auch aus biographieanalytischer Perspektive in den Blick genommen werden. Dabei stellen sich immer wieder methodische und methodologische Fragen, die in diesem Beitrag im Zentrum stehen: Wie lässt sich die eigene Familiengeschichte erzählen? Welche Herausforderungen gehen damit gerade im Fluchtkontext einher? Und noch grundlegender: Wie lassen sich Erinnerungspraktiken in Familien mit Migrations- und Fluchtgeschichte überhaupt erforschen?

Eine mögliche Antwort auf diese Fragen liegt in der methodologisch begründeten Verschränkung ethnographischer und biographischer Zugänge, die in der laufenden Studie verfolgt wird. Dabei ist die Verknüpfung von biographischen und ethnographischen Perspektiven nichts grundsätzlich Neues (vgl. auch Schnitzer 2018) und wird etwa von Bettina Dausien (2000), Helga Kelle (Dausien/Kelle 2005), Gerhard Riemann (2004) und auch Gabriele Rosenthal (2005, 2010) an unterschiedlichen Stellen formuliert (vgl. auch Pape 2018). Ebenfalls waren die historischen Anfänge der Biographieforschung von einer Kombination verschiedener methodischer Zugänge und einer Erhebung unterschiedlicher Materialien geprägt (vgl. auch Apitzsch 2019).

Während biographisch-narrative Interviews – das „klassische“ Material der Biographieforschung – mit Wolfram Fischer als „lebensumspannende ‚big stories‘“ konzipiert werden können, bestehen die erhobenen Familiengespräche eher aus „situativen ‚small stories‘“ (2019, 31), die Fischer ersteren gegenüberstellt. Deren Berücksichtigung hebt dieser als Forschungsdesiderat in der Biographieforschung hervor (ebd.). Im Fall der vorliegenden Forschung werden solche „small stories“ (vgl. auch Bamberg/Georgakopoulou 2008; Dausien et al. 2020) insbesondere durch die ethnographische Forschungsstrategie ermöglicht, sodass dieser Beitrag für eine Erweiterung des biographieanalytischen Blicks um Datenformen argumentiert, die aus ethnographischen Forschungssituationen hervorgehen.

Mit meinem Beitrag möchte ich also die Bedeutung solcher Verknüpfungen gerade im Kontext von (Flucht-)Migrationsforschung mit ihren vielfältigen Herausforderungen im Sinne einer methodischen und methodologischen Grenzüberschreitung der beiden Perspektiven deutlich machen. Ich beginne mit theoretischen Verhältnisbestimmungen, die den Gegenstand der Forschung konzeptualisieren (2.) und stelle dann die Projektkonzeption (3.) vor. Anschließend gehe ich systematisierend auf Herausforderungen für die Biographieforschung ein, die mir in meiner Arbeit begegnen, und zeige auf, wie ich sie in meiner Forschung bearbeite (4.). In einem abschließenden Schritt formuliere ich mögliche methodologische Implikationen für die Erweiterung einer biographieanalytischen Perspektive im Kontext familienbiographischer Forschung zu Erinnerungspraktiken in Familien (5.).

2. Erinnerung, Migration und Familie: Eine theoretische Verhältnisbestimmung

Im vorliegenden Projekt werden innerfamiliäre Erinnerungspraktiken unter Bedingungen von Migrationsbewegungen in den Blick genommen, die in einen spezifischen gesellschaftlichen Kontext eingebunden sind. Sie können als Formen kommunikativer Vergemeinschaftung verstanden werden (vgl. auch Keppler 1994). Über das Erzählen familiär tradierter Geschichten oder auch familiäre Rituale wird eine gemeinsame Vergangenheit über die Herstellung von Kontinuitäten zu einer situativ bedeutsamen gemeinsamen Vergangenheit gemacht.[3]

So stellen Akteur*innen über Erinnerungen die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart her. Erlebtes wird in situativen Erinnerungspraktiken aktualisiert und zu Erlebtem gemacht (vgl. auch Rosenthal 2005). Gleichzeitig wird über Erinnerungspraktiken eine Kohärenz zwischen vergangenem Erlebtem und aktuell Erfahrenem vorgenommen. Erinnerungen lassen sich demnach im Anschluss an Gabriele Rosenthal als soziale Praxis konzipieren (vgl. Rosenthal 2010). Sie fasst die Praxis der Erinnerung mit Bezug auf Maurice Halbwachs und Pierre Nora als Wechselwirkung zwischen kollektivem Gedächtnis einer gesellschaftlichen Gruppe und der erlebten Vergangenheit sowie kollektiven Wissensbeständen des sich erinnernden Menschen.

„Diese Praxis ist je nach historisch-kulturellem Kontext unterschiedlichen sozialen Regeln der Erinnerung unterworfen, die sich wiederum über Generationen hinweg festigen und wandeln. Sie zeigt also die Spuren von Regeln des Erinnerns, die früher bzw. in anderen sozialen und situativen Kontexten wirksam waren, gleichzeitig aber auch Spuren jener Regeln, die in der aktuellen interaktiven Erinnerungspraxis zur Geltung kommen.“ (Ebd., 151)

Zudem kann im Anschluss an Ursula Apitzsch davon ausgegangen werden, dass Erfahrungen von Migration und Flucht sowie die

„Suche nach sozialer und kultureller Zugehörigkeit in der neuen Aufnahmegesellschaft in einem großen Maße verbunden ist mit biographischer Anstrengung, die sich auf die Wiederherstellung eines symbolischen Raumes von Traditionalität bezieht, auf deren Hintergrund erst die Möglichkeit entsteht, als MigrantIn einen eigenen Platz in der neuen Gesellschaft zu bestimmen.“ (1999, 11)

Dabei geht es nicht nur um den eigenen Platz als Individuum, sondern auch um die Tradierung von Familienbildern und die Erinnerungsarbeit in Familien, wie sie etwa Lena Inowlocki in ihren Arbeiten zu jewish displaced persons herausarbeitet (vgl. auch Inowlocki 2003, 165). Wie sie ausführt, beinhalten „Generationsarbeit ebenso wie Erinnerungsarbeit […] die interaktive Aushandlung dessen, was Tradition und Familiengeschichte für die einzelnen Familienmitglieder und für die Familie bedeuten sollen“ (ebd., 169).

Im Anschluss an Lena Inowlocki und Gabriele Rosenthal lassen sich Familienerinnerungen als kollektive Wissensbestände konzeptualisieren, die in den Erhebungssituationen in einer Ko-Konstruktion der anwesenden Familienmitglieder gemeinsam mit der Forscherin situativ hervorgebracht und aktualisiert werden (vgl. auch Dausien 2010, 369 f.). Gegenstand der Forschung sind somit weniger individuelle, als vielmehr kollektive Erinnerungsprozesse, die in einer spezifischen Situation kommunikativ hervorgebracht werden. Dabei unterscheiden sich diese situativen, kollektiven Erinnerungsprozesse von der Artikulation individueller Erinnerung dahingehend, dass die soziale Situation – bedingt durch die Anwesenheit der verschiedenen Familienmitglieder – bestimmte Erzählungen verunmöglicht, andere aber erst möglich werden. Auf beide Aspekte wird im empirischen Teil näher eingegangen (vgl. auch Inowlocki in diesem Themenheft).

3. (Familien-)Biographische und ethnographische Zugänge: Methodische Umsetzung der Studie

„[D]ie Gestaltung einer Biographie“ lässt sich mit Bettina Dausien als „die besondere Leistung eines Individuums, in Interaktion mit anderen [fassen], aber sie ist zugleich angewiesen auf ,allgemeine‘ gesellschaftliche Räume, die individuelle Handlungen und Entwürfe zulassen, unterstützen oder einschränken“ (2006, 32). Im Anschluss daran wird eine Familienbiographie im vorliegenden Projekt verstanden als kollektive Konstruktionsleistung mehrerer Familienmitglieder auf der Basis von Erzählungen der gemeinsam erlebten Vergangenheit – somit bilden erzählte Familiengeschichten die Basis einer Familienbiographie.

Es kann davon ausgegangen werden, dass Familiengeschichten in ihrer situativen Praxis von Aushandlungsprozessen geprägt sind und zu einem bestimmten Zweck erzählt werden (vgl. Rosenthal 2005). Sie erfüllen demnach eine latente Sinnstruktur, die sich in Bezug auf verschiedene Dimensionen sozialer Erinnerungspraxen herausarbeiten lässt: wie etwa Sprache, Wissen, Artefakte, oder auch Zugehörigkeitskonstruktionen. Diese Geschichten sind nach Bruno Hildenbrand geprägt von „im kollektiven Gedächtnis der Familie bewahrten routinehaften Orientierungs- und Handlungsmuster[n]“ (1998, 209). Dabei ist nicht davon auszugehen, „daß Familien ihre Geschichte als kohärente, von einer übergreifenden Erzähllinie geprägte Geschichte erzählen […]. Statt dessen verdichtet sich die typische Art und Weise, wie eine Familie ihre Wirklichkeit konstruiert, in den erwähnten einzelnen Geschichten“ (ebd., 209 f.). Die Erwartung einer kohärenten Erzählung lässt sich auch für Biographien zurückweisen, die nicht im Familienkontext erhoben werden. Diese sind in ihren Erzählungen mitunter geprägt von Brüchen und „Hintergrundkonstruktionen“, die in die Erzählstränge eingewoben werden, um das bereits erzählte mithilfe dieser Einschübe zu korrigieren (vgl. Riemann 2004 mit Bezug auf Schütze 1987, 207–235). Dennoch werden im autobiographisch-narrativen Interview (Schütze 2016), das in der Biographieforschung in der Regel als Erhebungsinstrument genutzt wird, zumeist über mehrere Stunden selbstläufige Erzählungen des*der Interviewparter*in initiiert – jene „big stories“, die mit Bezug auf Wolfram Fischer eingangs erwähnt wurden. Diese hoch voraussetzungsvolle Art des Erzählens geht aber mit hohen Ansprüchen einher, die insbesondere in Forschungssituationen im Migrations- und Fluchtkontext auf Grund unterschiedlicher Bedingungen und Konstellationen nicht eingelöst werden können (vgl. auch Dausien et al. 2020: 22). Die erhobenen Familiengespräche folgen zumeist anderen Logiken als narrativ-biographische Interviews, sodass eine solche Selbstläufigkeit in den durchgeführten Gesprächen nicht hergestellt wurde – entgegen den anfänglichen Erwartungen der Forscherin.

Über eine biographietheoretische Verortung hinausgehend ermöglicht an dieser Stelle ein Verständnis der familienbiographischen Gespräche als teilnehmende Beobachtung nicht nur die Gespräche, sondern auch nonverbale Interaktionen in den Blick zu nehmen sowie Bilder und Artefakte in den jeweiligen Situationen als bedeutsam zu erachten (vgl. hierzu auch Roch 2014). Über teilnehmende Beobachtungen lassen sich zudem familienspezifische Praktiken der Erinnerung in ihren situativen Logiken in den Blick nehmen (vgl. Breidenstein et al. 2013) und es werden abseits der formellen Aufnahmesituation kleine Geschichten – „small stories“ (Bamberg/Georgakopoulou 2008) – erzählt, die, so die These des Beitrags, über einen rein biographischen Zugang nicht Gegenstand der Forschung werden können.

Familiengespräche werden vor diesem Hintergrund als situative Hervorbringung von Erinnerungen und als Form situativer Erinnerungspraktiken gelesen. Gegenstand der Untersuchung ist demnach die soziale Praxis der Erinnerung, weniger als biographische Arbeit einzelner, sondern vielmehr als kollektive Ko-Konstruktion auf der Basis individueller Auseinandersetzungen und Erfahrungsreflexionen der eigenen Familiengeschichte. Im Projekt werden daher Praktiken der Erinnerung in den Blick genommen, die in Bezug gesetzt werden zu Familiengeschichten, Erinnerungsorten oder auch Erinnerungsobjekten (vgl. Frey/Reitemeier 2010). Eine solch ausgerichtete Perspektive vermag über die Rekonstruktion von Familienbiographien und den in diesen hervorgebrachten Erinnerungspraktiken zum Verstehen grenzüberschreitender, transnationaler Migrationsprozesse beitragen (vgl. Siouti 2013). Denn im Rahmen der Analyse können Herausforderungen durchlaufener Transformationsprozesse für die Konstitution von Familie und in ihrer Bedeutung für das generationenübergreifende Familiengefüge zum Gegenstand der Forschung gemacht werden.

Im Projekt wurden Familien über einen längeren Zeitraum begleitet, der von mehreren Monaten bis zu zwei Jahren reicht. Es wurden insgesamt sechs Familien ausgewählt, die über eine Migrations- bzw. Fluchtgeschichte verfügen und zum Zeitpunkt der Erhebung bereits zwischen drei und fünf Jahren in der Schweiz lebten. Sie wurden zum einen über Non-Profit-Organisationen kontaktiert, die Geflüchtete unterstützen. Zum anderen erfolgte der Kontakt über ein Wohnprojekt, das Wert auf soziale Durchmischung legt und das den Kontakt zu Familien mit Migrationsgeschichte ermöglichte.

Der Zugang zum Feld erfolgte ethnographisch, um eine Vertrauensbasis aufzubauen (vgl. auch Delcroix/Lagier 2014) und zudem Erinnerungspraxen in situ zu beobachten, um deren „kommunikative Dynamik“ (Inowlocki 2003, 162) rekonstruieren zu können. Wenn möglich wurden zudem außergewöhnliche Ereignisse wie Feste beobachtet (vgl. Rieker 2002). Die Familien wurden mehrfach besucht; es wurde gemeinsam gekocht, gegessen und mit den Kindern gespielt. Es wurden zudem familienbiographische Gespräche von zwei bis drei Stunden Dauer geführt, die zum Teil an einem weiteren Termin fortgesetzt wurden. Die Familien wählten selbst aus, wer aus der Familie beim Gespräch anwesend war; idealerweise war die Gesprächsgruppe intergenerational zusammengesetzt. So kann im Zuge der Analyse auch herausgearbeitet werden, welche Familienmitglieder als Repräsentant*innen der Familiengeschichte wahrgenommen werden und in welcher Weise sich die Familie als „Familie“ versteht.

Von den Besuchen in den Familien und auch den Gesprächen wurden Beobachtungsprotokolle erstellt. Die familienbiographischen Gespräche wurden digital aufgenommen und transkribiert. Im Zuge der Transkription wurden Passagen etwa auf Arabisch, Tigre oder auch Spanisch ins Deutsche übersetzt, blieben aber als Übersetzung gekennzeichnet.[4] Die Passagen auf Arabisch und Tigre wurden durch fehlende Sprachkenntnisse erst im Nachhinein mithilfe von Übersetzungen für mich verständlich, spanischen Passagen konnte ich in der Forschungssituation zumindest in Teilen folgen.[5] Die Auswertung erfolgt in einem Wechsel von systematisierenden Kategorisierungen im Sinne des Aufspürens analytischer Themen (vgl. Breidenstein et al. 2013; Breuer 2010) und sequenziellen Feinanalysen zur Rekonstruktion situativer Logiken und familienbiographischer Bedeutungen von Erinnerungspraktiken (vgl. Breidenstein et al. 2013; Rosenthal 2011).

Doch wie können Erinnerungen erzählt und in welcher Weise können Situationen erinnert werden, die durchaus mit schmerzhaften (Verlust-)Erfahrungen einhergehen und mitunter nicht erzählbar sind (vgl. auch Rosenthal 2010, 153)? Diesen Fragen wird im Hauptteil dieses Beitrags nachgegangen.

4. Flüchtige Artefakte, Sprache(n) und „small stories“ – Herausforderungen der Erforschung familiärer Erinnerungspraktiken

Herausforderungen für die Forschung stellen sich bei dieser Projektanlage in unterschiedlicher Hinsicht: Inwiefern und in welcher Weise dabei Infragestellungen von in anderen Kontexten weiterführenden theoretisch-methodologischen Grundlagen und methodischen Vorgehensweisen wie etwa der selbstläufigen „big stories“ (Fischer 2019, 31) notwendig werden, soll nun in den Blick genommen werden. Fragen der Bedeutung von nonverbaler oder auch artefaktgestützter Kommunikation in der Erhebungssituation stehen ebenso wie die Möglichkeiten der Analyse von in verschiedenen Erhebungssituationen erzählten „small stories“ im Zentrum der folgenden Überlegungen. „Small stories“ als kürzere, aus einer bestimmten Situation heraus hervorgehende Geschichten werden auch in einer gewissen Selbstläufigkeit erzählt, unterscheiden sich aber dahingehend von den „lebensumspannenden big stories“ (ebd.), als nicht die gesamte Biographie, sondern kleine Ausschnitte daraus selbstläufig entfaltet werden. Michael Bamberg und Alexandra Georgakopoulou arbeiten die Bedeutung von „small stories“ für die Analyse von „identity work“ aus (vgl. Bamberg/Georgakopoulou 2008). An deren Konzeption schließen Bettina Dausien, Nadja Thoma, Faime Alpagu und Anna-Katharina Draxl an und adaptieren sie für ihre Forschung mit geflüchteten Jugendlichen, in der sie sowohl schriftlich als auch mündlich erzählte „small stories“ erhoben haben (vgl. Dausien et al. 2020).

Anders als die selbstläufige Lebenserzählung im narrativ-biographischen Interview und auch in Abgrenzung von deren Verständnis bei Bamberg und Georgakopoulou sind „small stories“ in meiner Forschung durch ihre situative Eingebundenheit mitunter nicht digital aufgenommen, sodass sie aus dem Gedächtnis protokolliert, aber nicht von der Aufnahme wortgetreu transkribiert werden können. Wie im Datenverständnis der Ethnographie braucht es daher über Bamberg und Georgakopoulou hinausgehend eine Konzeption der Forschenden als über die Teilnahme am Feld legitimierte Expert*innen der beobachteten Situationen. Als solche sind sie in der Lage, aus dem Gedächtnis heraus – und wenn möglich gestützt durch in der Situation selbst entstandene Notizen – die beobachtete Situation mit ihren kurzen Szenen und den so situativ aufgeführten „small stories“ in ihren wesentlichen Aspekten zu erfassen und als Protokollantin wiederzugeben (vgl. Breidenstein et al. 2013, 115).

Um aufzuzeigen, in welcher Weise diesen Fragen und Herausforderungen in der vorliegenden Forschung begegnet wird, werden im folgenden einzelne Passagen aus Beobachtungsprotokollen von Besuchssituationen und Transkripten von familienbiographischen Gesprächen für exemplarische Analysen ausgewählt. Die Materialien stammen aus drei der insgesamt sechs begleiteten Familien, die unten jeweils kurz vorgestellt werden.

4.1 „Small stories“ als biographische Ko-Konstruktion und Ermöglichung der kommunikativen Selbstdarstellung

Im Migrations- und Fluchtkontext ist es zum einen aus sprachlichen Gründen nicht immer möglich, Familienbiographien als selbstläufige Stegreiferzählungen zu erheben, da nicht nur die Familiengeschichte von den Familienmitgliedern in Interaktion mit der Forscherin ko-konstruiert wird (vgl. auch Dausien 2010, 369 f.), sondern auch die sprachliche Verständigung wird interaktiv hervorgebracht. Zum anderen aber sind die Geschichten der Familien selbst zumeist von schmerzhaften Verlusten und Brüchen geprägt, die wiederum nicht für eine große selbstläufige Erzählung der Familiengeschichte zugänglich sind. Dabei lassen sich im Folgenden zwei Dimensionen von Familienerinnerungen unterscheiden: Während diese zum Teil kollektiv hervorgebracht und in Interaktion der Familienmitglieder mit der Forscherin situativ relevant gesetzt werden, können gerade schmerzhafte biographische Passagen mitunter nicht im Beisein weiterer Familienmitglieder erzählt werden. Damit gehen Herausforderungen an die Rolle der Forscherin, aber auch Implikationen für mögliche normative Erwartungen der Forschenden einher. Dies wird nun anhand verschiedener Ausschnitte aus familienbiographischen Gesprächen und aus Protokollen von Familienbesuchen näher ausgeführt.

Die Familie Ahmad ist zum Zeitpunkt meines Besuchs vor dreieinhalb Jahren aus Syrien in die Schweiz geflohen. Die Eltern und vier Geschwister im Alter von 14 bis 36 Jahren haben keinen anerkannten Asylstatus, sondern einen „Ausweis F“, mit dem lediglich eine vorläufige Aufnahme einhergeht. Einem Sohn wurde politisches Asyl gewährt, weil er wehrdienstpflichtig sei und bei einer Rückkehr nach Syrien direkt eingezogen werden würde, wie mir der älteste Sohn der Familie erläutert. Vor allem der Vater und der erwachsene Sohn, über den der Kontakt zustande kam und der bei den meisten Treffen mit dabei ist, haben aufgrund des unsicheren Aufenthaltsstatus und fehlender sprachlicher Zertifikate Schwierigkeiten, Arbeitsmöglichkeiten zu finden. Mit dem folgenden Zitat aus einem Beobachtungsprotokoll eines Besuchs bei der Familie Ahmad – anwesend sind Vater, Mutter und der älteste Sohn – lässt sich insbesondere der Bruch mit den Handlungserwartungen der Forscherin gerade in Bezug auf sich selbstläufig entfaltende Narrative und an sich selbst als zurückhaltende Interviewerin zeigen.

Es kommt nach einer anfänglichen Anspannung mit der Zeit ein gelöstes Gespräch auf, das aber weniger von narrativer Interviewführung als vielmehr von Alltagstechniken des Gesprächs geprägt ist. Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich nach etwas unklaren Äußerungen der drei, oder wenn sie ins Stocken kommen, mögliche Varianten der Fortsetzung vorformuliere. So wie es Jérémie, der französische Freund meiner Schwester, bei mir macht. (Beobachtungsprotokoll Familiengespräch 1, Familie Ahmad)

Gesprächssituationen wie die hier im Protokoll festgehaltene begegnen mir als in narrativer Gesprächsführung geübter Interviewerin in diesem aktuellen Forschungsprojekt immer wieder. In den Familiengesprächen gelingt es mitunter nur schwer, eine selbstläufige Erzählung als längere autobiographische Stehgreiferzählung (Schütze 2016) zu initiieren, die dann mit nur kurzen Nachfragen der Interviewerin von den Gesprächspartner*innen gemeinsam erzählt würde. Vielmehr sind die Gespräche von Alltagstechniken der Gesprächsführung geprägt, wie sie auch Hildenbrand (1998) für Familiengespräche vorschlägt. Die Familienbiographien werden demnach in den Familiengesprächen weniger als eine die gesamte Familiengeschichte umspannende selbstläufige „big story“ als vielmehr mithilfe sich immer wieder neu entfaltender kurzer Geschichten – „small stories“ – erzählt. Die Erzählung solcher „small stories“ beschränkt sich nicht auf die Gesprächssituation, in der das Aufnahmegerät in der Mitte liegt und sich die Familie mit der Forscherin um einen Tisch versammelt, sondern sie werden in ganz unterschiedlichen Situationen erzählt, in denen nicht immer ein Aufnahmegerät verfügbar ist oder ohne Irritation eingeschaltet werden kann. Sie gehen dabei über Erzählungen im eigentlichen Sinne hinaus und werden in situativen Szenen mitunter mithilfe von Artefakten, Gesten und einem gemeinsamen Suchen nach Worten interaktiv hervorgebracht.

Im Migrations- und Fluchtkontext kann ein gemeinsames Suchen nach Worten oder auch die Unterstützung bei der Suche nach dem passenden sprachlichen Ausdruck in vielen Fällen als Erleichterung der Kommunikation erscheinen. Das Phänomen, dass Sätze der Gesprächsteilnehmer*innen reformuliert oder auch als Formulierungsvorschlag beendet werden, kennt die Forscherin aus dem familiären Alltagskontext. Im Alltag wie im Forschungskontext mögen die beschriebenen Praktiken in manchen Situationen im Zuge der Etablierung eines Arbeitsbündnisses (vgl. etwa Schütze 2000; Müller 2015) zur Erleichterung der Verständigung und zu einer hilfreichen Abkürzung beitragen, in anderen jedoch zu Verkürzungen und Veränderungen der Formulierungs- und Ausdrucksweisen führen.[6] Indem Familiengespräche im Anschluss an Hildenbrand (1998) eben nicht als selbstläufige Hervorbringungen der Forschungspartner*innen, sondern als gemeinsame Ko-Konstruktionen im Forschungskontext betrachtet werden, kann diesen situativen Praktiken als gemeinsame Konstruktion und Aktualisierung von Wissen Rechnung getragen werden.

Neben diesen durchaus auch in den Begrenzungen der gemeinsam verfügbaren Sprache begründeten Verhinderungen einer selbstläufigen Stegreiferzählung im Sinne der oben zitierten „big stories“ (Fischer 2019), lassen sich auch andere Beispiele von kurzen Geschichten – „small stories“ – im Material finden. Sie erzählen einen kleinen Aspekt, eine kurze Episode der Familiengeschichte in je nach Sprachvermögen in der gemeinsamen Sprache in der Forschungssituation unterschiedlicher Ausführlichkeit und unter Rückgriff auf unterschiedliche außersprachliche Kommunikationsformen. Im folgenden Beispiel aus der Familie Chavez – der Geschichte des Großvaters der Mutter – sind die sprachlichen Mittel weniger eingeschränkt. Es ist die Mutter der besuchten Familie, die nach Aufforderung ihres Sohnes Max (zwölf Jahre) und der Tochter Laura (neun Jahre) zur Erzählung ausholt und die in der Familie tradierte Geschichte ihres Großvaters mütterlicherseits erzählt. Cina ist mit ihrer Mutter als elfjähriges Mädchen Ende der 1970er-Jahre aus dem ehemaligen Jugoslawien in die Schweiz eingewandert. Sie selbst hat mit ihrem südamerikanischen Mann und ihren vier Kindern 16 Jahre lang in Lateinamerika gelebt und ist zum Zeitpunkt des unten zitierten Gesprächs seit etwa drei Jahren mit ihrer Familie in der Schweiz. Sie ist also in der Schweiz aufgewachsen und spricht Schweizerdeutsch mit ihren Kindern. Mit mir spricht sie zumeist Standarddeutsch. In der Familie werden häufig in raschem Wechsel Spanisch und Schweizerdeutsch gesprochen.[7]

Max: Erzähl das mit em Pfärd.

Cina: Das war im ERSTEN Weltkrieg, das war mein Urgroßvater. (5) Und er war Pfarrer und Lehrer. und von dem weiß ich fast nichts. Also diese Geschichte […] und der hatte irgendwie ein Pferd, ein ganz treues und besonderes Pferd. Es gibt halt einfach sehr viele Geschichten, ich weiß einfach die, dass er- es war auch wieder Winter, und da gab es viele alte römische Brücken, die über die Flüsse- eigentlich KEINE langen Brücken, aber so runde Brücken, es war alles EISIG, und er musste auch wieder von A: nach B:, (3) und war mit diesem Pferd, das ihm sein Leben lang treu war. (5) Und er musste dringend weiter, und er hat gesehen, das Pferd konnte, sie haben‘s versucht aber- […] es kam nicht hoch. Und da hat er sich leider von diesem Pferd verabschiedet. Und hat seine Sachen genommen, und hat das Pferd einfach gelassen, und ist weiter. Und als er zurückschaut, ist das Pferd auf den Bauch, und hat sich rüber gestoßen über die Brücke.

[…]

Anna: Ne ganz besondere Beziehung.

Cina: Ja. Ja::.

Anna: Warte, darf ich noch ganz kurz fragen, wo du die Geschichten, wer dir die Geschichten erzählt hat?

Cina: Das haben mir meine Großmutter, und Großtanten erzählt. Weil dieser Urgroßvater hatte einen Sohn, und vier Töchter.

Anna: Ok.

Cina: Und meine Großmutter war die älteste Tochter. Ja. Eine stolze Pfarrerstochter, die mit einer großen Mitgift in diese Ehe kam, mit diesem Offizier, (4) und die dann halt alles für das Überleben halt hergeben musste.

Anna: Mhm. (3) Also zu diesen Kriegszeiten.

Cina: Ja (.) Genau. (Transkript Familiengespräch 1, Familie Chavez)

Die Familiengeschichte wird in dieser Familie anhand vieler kleiner Geschichten während eines langen gemeinsamen Abendessens erzählt. So wie im oben zitierten Fall sind es immer wieder die Kinder, die nach Geschichten fragen, und es ist die Mutter, die diese erzählt; zum Teil auch initiiert durch Fotos in Familienalben, die wir vor dem Essen und nach dem Hauptgang gemeinsam ansehen. Aber auch der Vater erzählt aus eigener Initiative oder auf Nachfrage vor allem der ältesten der anwesenden Kinder, Carla (17 Jahre). Diese „small stories“ sind im obigen Fall bereits der Mutter erzählt worden, die sie nun auch an ihre Kinder und auf Max Aufforderung hin an mich weitergibt. Es sind ganz unterschiedliche kleine Geschichten, im Falle des Urgroßvaters eine Art Heldengeschichte, aber auch Geschichten vergangener – und verlorener – Privilegien. Die Vorfahren erscheinen als bedeutsame Figuren, die Bedeutsames erlebt haben.

Während diese Situation doch noch in sehr ähnlichem Verlauf in einer Familie ohne aktuelle Migrations- und/oder Fluchterfahrungen denkbar ist, lässt sich in der folgenden Sequenz aus dem Beobachtungsprotokoll einer palästinensischen Familie aus Gaza ein deutlicher Bezug zur aktuellen Migrationssituation der Familie zeigen. Die Familie Essa ist zum Zeitpunkt der Erhebung vor vier Jahren mit ihren damals drei Kindern in die Schweiz gekommen. Der jüngste Sohn ist als viertes Kind in der Schweiz geboren. Anders als im Falle der obigen „Heldengeschichte“ wird in der folgenden Sequenz die Grenze des Erzählbaren und damit die situative Aktualisierung von Erinnerungen in der gemeinsamen Ko-Konstruktion der Forschungssituation deutlich.

Als wir gemeinsam den Tisch abräumen – Enes [Vater] ist schon während wir noch am Tisch saßen auf den Balkon verschwunden, wo er raucht und telefoniert – erzählt mir Ebru [Mutter] von den Geburten ihrer Kinder. […] Sie erzählt mir in einer Mischung aus Englisch und Deutsch, dass sie sieben Jahre in Dubai gelebt haben. Und da ist auch ihr erstes Kind zur Welt gekommen: „So schwer bei Edin in Dubai alleine, ohne Mutter. So viel geweint.“ Auch beim Erzählen nunmehr zwölf Jahre später stehen ihr die Tränen in den Augen und die Emotion ist ihr deutlich anzumerken. Sie schaut mich mit einem direkten, sehr eindringlichen Blick an und erzählt so eindrücklich, dass auch ich den Tränen nahe bin. Sie erklärt, dass Edin, der erste Sohn, erst schön und dick war – „vier Kilo“, fügt sie hinzu. Und dann hat er immer weniger gewogen, nicht getrunken, nicht geschlafen, nur geweint. Immer wieder unterbricht sie die Erzählung und seufzt, wie sie es schon bei meinem letzten Besuch getan hat: „Oje, diese Zeit.“ Bis Edin vier Monate alt war, war sie immer wieder bei verschiedenen Ärzten. „Immer gesagt, ist normal, Blähungen“, erzählt sie. Aber sie dachte, das ist nicht normal. Erst als er vier Monate alt ist, findet sie endlich einen Arzt, der sie ernst nimmt. Mit den beiden Mädchen war es dann besser, da war es nicht mehr so schwierig. Sie erzählt mit vielen Gesten […]. Ihre Sätze sind eher bruchstückhaft, aber ich verstehe sie sehr gut. Ich habe das Gefühl, dass Enes sich absichtlich zurückgezogen hat, um uns Frauen Zeit für Gespräche zu lassen. Ein wenig später erzählt sie, dass es in Dubai besser war, da konnte sie Arabisch sprechen. Aber die letzte Geburt war schlimm. Sie waren noch nicht lange in der Schweiz und sie sprach noch nicht gut Deutsch. Der Arzt war ein Mann, aber das war ihr egal: „Ich wollte einfach fertig machen.“ Sie hatte den ganzen Tag vor der Geburt geweint. Als ich sie frage, ob sie Angst hatte, antwortet sie: „Ja, keine Sprache.“ Nach dem Blasensprung – sie nennt das Wort nicht, sondern deutet mir mit nach unten streichenden Gesten, dass das Fruchtwasser abgegangen ist – ging sie spazieren im Krankenhaus, die ganze Nacht: „Dann Medikamente machen Schmerzen“, sie fasst sich an den Bauch, anschließend legt sie sich mit Gesten das Baby auf die Brust. Aber dann kam die Plazenta nicht. Ich weiß nicht mehr, ob sie das Wort Plazenta verwendet hat, aber auch hier erzählt sie wieder gestenreich, und ich mache Vorschläge, die sie dann verneint oder bejaht. Dann drückt sie auf ihren Bauch und schiebt ihre Hand nach unten: „In meine Land gedrückt, hier nein“ – sie schüttelt energisch den Kopf –, „Operation. Ganz müde, noch vier Wochen müde.“ […] „Oje, diese Zeit“, sagt sie wieder. (Beobachtungsprotokoll Familienbesuch 2, Familie Essa)

Es ist hier gerade der Normalität und Tätigkeit transportierende Rahmen, der diese intimen Erzählungen möglich macht. Der Rest der Familie ist mit anderen Dingen beschäftigt – die Kinder spielen in der Wohnung verteilt, der Ehemann telefoniert auf dem Balkon –, sodass die gemeinsame Hausarbeit zum Gesprächsraum werden kann. Auch wenn immer wieder Worte fehlen, geht aus dem Protokoll eine eindrückliche Geschichte hervor, die eine für die Mutter bedeutsame Zeit – die Geburten ihrer Kinder – mit ihren Ängsten und den ganz eigenen Unsicherheiten für die Forscherin zugänglich macht. Erst in der informellen Gesprächssituation ohne Aufnahmegerät und ohne direkte Aufmerksamkeit der anderen Familienmitglieder, die gleichwohl zumindest zum Teil in Hörweite waren, wird das Erzählen dieser für die Familiengeschichte, aber zunächst einmal auch für die Lebensgeschichte von Ebru zentralen „small story“ möglich.

An der Stelle lässt sich unterscheiden zwischen der kollektiv erzählten Familiengeschichte, wie sie Gabriele Rosenthal in ihren Arbeiten häufig verwendet (vgl. auch Rosenthal/Hinrichsen 2018), und wie sie von der Familie gemeinsam erzählt wird sowie den „récits croisés“ [übereinandergelegten Berichten; AS], die Catherine Delcroix in ihrer Forschung nutzt (vgl. etwa Delcroix 2013), also der Gesprächsführung mit einzelnen Familienmitgliedern, die erst in der Analyse aufeinander bezogen werden. Erst in der nicht mehr durch die Familie gemeinsam gestalteten Gesprächssituation, in der sie gemeinsam mit der Forscherin einer Arbeit – dem gemeinsamen Tisch Abräumen – nachgeht, wird diese Geschichte erzählbar. Die Erzählung erfolgt aber nicht nur in der von der Familie zumindest in gewissem Maße abgetrennten Gesprächssituation zu zweit, sondern auch parallel zu einer alltäglichen gemeinsamen Beschäftigung – dem Tischabräumen und Abwaschen nach dem Essen. Sie wird auch mit dem Körper erzählt – begleitet von „sprechenden“ Gesten und einer lebhaften Mimik –, sodass eingeflochten in ein eine Alltagstätigkeit begleitendes Gespräch Einblicke in eine bedeutsame biographische Lebensphase gegeben werden. Mit Blick auf familiäre Erinnerungspraktiken und die erzählte Familienbiographie ist es bedeutsam, dass diese Geschichte einer anderen Frau und Mutter in einer „zweisamen“ Gesprächssituation und scheinbar „nebenbei“ erzählt wird. Sie ist eben nicht teil der kollektiven Familienbiographie, und so nicht teil der geteilten Erinnerungspraxis.

Gerade in der Flucht- und Migrationsforschung, in der die Lebenssituation der befragten und begleiteten Menschen häufig von strukturellen Unsicherheiten, biographischen Brüchen und Einschränkungen in den Ausdrucksmöglichkeiten in der hegemonialen Sprache geprägt ist, lässt sich daher „in der Jetzt-Situation biographische Strukturierung im Interaktionsvollzug zugänglich und analysierbar“ machen (Fischer 2019, 31). Solche „aktualsprachliche[n] biographische[n] Formen“ seien „bislang nicht hinreichend in der Forschung berücksichtigt worden“ (ebd.).

Fischer hält dabei anders als in der oben ausgeführten Situation geschehen daran fest, Tondokumente anzufertigen. In der vorgestellten Situation in ihrer Beiläufigkeit und Alltäglichkeit ohne „Zeug*innen“ – auch ohne technische – ermöglicht aber gerade die Abwesenheit eines Aufnahmegerätes, dass sie sich in der gezeigten Weise vollziehen konnte. So kann die vorliegende Forschung in ihrer Kombination ethnographischer und biographischer Perspektiven Familiengeschichten als erzählte und situativ hervorgebrachte Familienerinnerungen ebenso wie situative Erinnerungspraktiken und „nebenbei“ erzählte „small stories“ als „Vergangenheitskonstruktionen ,en passant‘“ im Sinne von Keppler (1994) in ihren nonverbalen Dimensionen zum Gegenstand der Forschung machen und differenziert in den Blick nehmen. So wird auch deutlich, dass bestimmte Erinnerungen – im obigen Ausschnitt sind es die intimen Geburtserfahrungen der Mutter – eben nicht kollektiv in der Runde des Familiengesprächs, sondern im beiläufigen Gespräch mit der Forscherin erzählt werden, als die anderen Familienmitglieder schon wieder mit anderen Dingen beschäftigt sind. Die „Heldengeschichte“ des Großvaters aber ist in der Familie Chavez Teil eines gemeinsamen Repertoires kleiner Geschichten, die im Beisein aller und auf Aufforderung der Kinder hin erzählt werden.

4.2 „Small stories“ in Bildern und Artefakten: Wenn die gemeinsame Sprache und gemeinsame Bezugspunkte fehlen

Bilder und Artefakte werden in den Erhebungssituationen – wie im obigen Zitat Gestik und Mimik – dann relevant, wenn an einem gewissen Punkt im Gespräch die gemeinsame Sprache sowie gemeinsame Selbstverständlichkeiten und Bezugspunkte fehlen. „Erzählt“ wird in diesen Fällen mithilfe des Zeigens von Bildern oder auch des Hinzuziehens von Artefakten.

In der nachfolgend protokollierten Sequenz sitze ich mit den Eltern der Familie Ahmad und dem ältesten Sohn zum ersten Familiengespräch im Wohnzimmer der Familie, das zugleich das Schlafzimmer des ältesten Sohnes darstellt. Es ist unser drittes gemeinsames Treffen.

Später geht es darum, dass Damaskus vor dem Krieg eine blühende Stadt war, die viele historische Denkmäler zu bieten hatte und Touristen aus vielen umliegenden Ländern anzog. Sie [die Familienmitglieder] erzählen vom Al Hamadiya-Markt, der wunderschön war und sehr beliebt, und fragen mich, ob ich schon einmal in Syrien war. Ich verneine und sage ihnen, dass ich den Markt nicht kenne. Da steht der Vater wieder auf und kommt mit seinem Handy zu mir. Auch ich stehe auf und wir sehen zusammen die Fotos an, die er mir zeigt. Internet-Bilder von prächtigen Moscheen und belebten Straßen mit einer Art Arkaden auf der einen Seite. Adil [Vater] sagt mir die Namen der Orte und ich staune, wie wunderschön sie sind. Zugleich frage ich mich, ob es diese Gebäude und Viertel wohl noch gibt und ich frage nach. Eine der Moscheen ist zerstört, aber die andere gibt es noch. Amra [Mutter] kommt auch näher und schaut mit auf die Fotos und auch Aabid [Sohn] streckt sich, um zu sehen, was Adil mir zeigt. (Beobachtungsprotokoll Familiengespräch 1, Familie Ahmad)

Im Laufe des Familiengesprächs kommt die Familie auf Damaskus, ihre Heimatstadt, zu sprechen und die drei illustrieren ihre Erzählung mit Internetfotos, die der Vater auf dem Handy für mich heraussucht. Diese Fotos werden im Protokoll kurz beschrieben und bieten die Möglichkeit, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Mit ihrer Hilfe wird ein fehlender gemeinsamer Erfahrungsraum überbrückt und es können auch bei der Forscherin Bilder erzeugt werden, die ihr nicht aus der Erfahrung verfügbar sind. In einer anderen Episode im zweiten Familiengespräch wird diese Lücke durch ein Hinzuziehen von Artefakten bearbeitet: Die Mutter der Familie holt Backformen aus der Küche, um mir zu erklären, wie die Kekse gebacken werden, mit der die Familie mich anlässlich des Festes zum Fastenbrechen bewirtet (vgl. auch Schnitzer/Rieker i. E.). 

Mit den im Internet gesuchten, kurz gemeinsam betrachteten Fotos und den gezeigten Artefakten werden Orte, Menschen oder auch Dinge ins Zentrum der Erhebungssituation gerückt, die Erinnerungen evozieren, illustrieren und Erzählungen initiieren. Damit diese über verbale Verständigung hinausgehenden Situierungen von Erinnerungen in Bildern und Artefakten sowie die damit einhergehenden Interaktionen auch für die Analyse fruchtbar gemacht werden können, genügt es also nicht, das Gespräch digital aufzunehmen und zu transkribieren. Diese Fotos und Artefakte werden zwar zumeist verbal kommentiert und in die verbale Kommunikation „eingebaut“, aber da sie für die Gesprächsteilnehmer*innen sichtbar und in der Situation präsent sind, werden sie kaum verbal beschrieben und sind so auch nicht im Transkript festgehalten. Sie sind daher lediglich „situativ“ als Teil der erzählten „small stories“ verfügbar und können sodann nur über die Erinnerungen der Forscherin vermittelt Eingang in die Analyse finden. Daher wird hier ein Datenverständnis in Anschlag gebracht, das sich an der jeweiligen Feldlogik orientiert und an das der Ethnographie angelehnt ist (vgl. Breidenstein et al. 2013, 115). Das Feldwissen der Forscherin mit deren Aufmerksamkeit für Artefakte gilt es als eine für das Phänomenverständnis bedeutsame Datenform zu sehen, die vor allem über detaillierte Protokolle der Analyse zugänglich gemacht werden kann. Denn ebenso wie sprachliche Ausdrucksformen, die im Transkript festgehalten werden können, sind für die Hervorbringung und Aktualisierung von (Familien-)Erinnerungen auch die Bilder ehemals vertrauter Orte und Menschen sowie die Artefakte relevant, die Gegenstand habitualisierter Praktiken und Teil der wenigen Dinge sind, die die Familien auf ihrer Flucht oder im Zuge ihres Migrationsprojekts mitnehmen konnten. Dies zeigen auch Frey und Reitemeier (2010) eindrücklich auf, wenn sie die Bedeutung einer Suppenschüssel, die das Migrationsprojekt begleitet, für Erinnerungsprozesse und die Geschichte einer „russlanddeutschen“ Familie rekonstruieren. Anders aber als die Suppenschüssel, die als Erinnerungsobjekt in der Familie vor Ort und in Gebrauch ist, repräsentieren die flüchtigen Fotos aus dem obigen Zitat eine Vertrautheit mit abwesenden, teils zerstörten Orten, die durch die Fotos in der Situation gezeigt und zum Gegenstand kleiner Geschichten werden können.

5. Familienbiographie(n) und Erinnerung: Möglichkeiten und Grenzen der Biographieforschung

Wie lässt sich die eigene Familiengeschichte erzählen? Welche Herausforderungen gehen damit gerade im Fluchtkontext einher? Und noch grundlegender: Wie lassen sich Erinnerungspraktiken in Familien mit Migrations- und Fluchtgeschichte überhaupt erforschen? Von diesen Fragen ausgehend habe ich im vorliegenden Beitrag aufgezeigt, welche Potentiale es für die Erforschung familiärer Erinnerungspraktiken mit sich bringt, biographietheoretisch informiert ins Feld zu gehen und Familienbiographien mit einem ethnographischen Blick zu untersuchen.

Neben einem Vertrauensaufbau, der mit einem ethnographischen Zugang möglich wird, können auf einer methodologisch-theoretischen Ebene mit einem Blick auf situative Praktiken die der Gesprächssituation innewohnenden sprachlichen Grenzen des Sprechens-Über wenn nicht überwunden, so zumindest bearbeitet werden. Zudem sagt die flüchtige Form von Artefakten – wie beispielsweise im Internet gezeigte Bilder – auch etwas über die Lebenssituation der befragten Familien aus: Sie haben sich zumeist mit sehr wenig Gepäck und mitunter unter Zeitdruck auf den Weg gemacht. Erinnerungsobjekte wie Fotoalben oder auch weitergegebene Artefakte (wie die oben angeführten Plätzchenformen) sind kaum verfügbar. Umso bedeutsamer werden etwa über das Mobiltelefon zur Verfügung stehende Bilder sowie in Bruchstücken und informellen Gesprächssituationen erzählte kleine Geschichten.

Dabei lässt sich abschließend an Elisabeth Tuider und Helma Lutz anknüpfen, die dazu auffordern, im Kontext postkolonialer Hegemonie- und Machtverhältnisse nicht auch in der Biographieforschung kulturelle Hegemonien fortzuschreiben, sondern „die Dekolonisierung und Deprivilegierung hegemonialer Erzählnarrative voranzutreiben“ (2018, 110). In diesem Sinne ist es für die vorliegende Forschung bedeutsam, Sprecher*innenpositionen und die Rolle der Forscherin zu reflektieren, indem eigene Erwartungen etwa in Bezug auf selbstläufige, lebensumspannende Stehgreiferzählungen – im Sinne der eingangs eingeführten „big stories“ – revidiert und biographische Ausdrucksweisen, die nur in ethnographisch strukturierten Forschungssituationen möglich werden, Eingang in die Forschung finden. In Bezug auf die Familienbiographie und Erinnerungspraktiken der Familie Essa etwa ist bedeutsam, dass die „Geburtsgeschichte“ der Kinder eben nicht Teil der kollektiven, sondern vielmehr einer individuellen biographischen Erzählung ist. So kann die Familienbiographie mit ihren Auslassungen und Dethematisierungen in differenzierterer Weise rekonstruiert werden, indem die ethnographischen Protokolle und die in ihnen notierten Geschichten und Praktiken etwa mit Blick auf deren non-verbale, körperliche und materielle Dimensionen die Gesprächstranskripte ergänzen. Sowohl in Familiengesprächen als auch in informellen Gesprächssituationen „off the record“ erzählte kleine Geschichten können so mit ihren situativen Relevanzsetzungen und in ihrer szenischen Ausgestaltung als wesentlicher Teil familiärer Erinnerungspraktiken in den Blick genommen werden. Damit gehen allerdings Paradigmenwechsel einher – wie etwa eine Anerkennung des Wertes nicht wörtlich transkribierter, aber in ethnographischen Situationen erzählter und genau protokollierter „small stories“ für einen biographieanalytischen Blick. Diese sind insofern vielversprechend, als dann auch flüchtige, nur in der Erhebungssituation gezeigte Orte, Menschen und Dinge in den Fokus rücken können, die bedeutsame Erinnerungen evozieren, aber nur über das Erstellen ethnographischer Protokolle der Analyse zugänglich gemacht werden können. Auch Formen des (sprachlich) Nicht-Sagbaren, Gestischen, Beiläufigen und Flüchtigen, die gerade im Migrations- und Fluchtkontext von großer Bedeutung sein können, werden so fassbar und können als Teil biographischer Ausdrucksformen Gegenstand der Analyse werden.

Basierend auf den vorgestellten Überlegungen kann deutlich werden, dass gerade im Kontext der Migrations- und Fluchtforschung ethnographische Zugänge und deren offeneres Datenverständnis ergänzend zu autobiographisch-narrativen Interviews und dem Prinzip der selbstläufigen Erzählung im Sinne einer lebensumspannenden und im Transkript vorliegenden „big story“ bedeutsame Analyseebenen eröffnen. In diesem Sinne ist das im Migrations- und Fluchtkontext gewonnene Datenmaterial und die Rolle der Forscherin auch vor dem Hintergrund dessen zu reflektieren, dass das Erzählen einer Familienbiographie für die Befragten mitunter eine Herausforderung und Aufgabe darstellen mag, die eher in „kleinen Schritten“ als in einem „großen Wurf“ vollbracht wird. Gerade im Kontext von Migrations- und Fluchtgeschichten mit den ihnen innewohnenden Brüchen ist dies nicht in jedem Falle möglich. Unter anderem wird hier deutlich, wie sehr Selbstläufigkeit eine hochspezialisierte Kompetenz darstellt und wie eng diese mit Sprachkompetenz in der hegemonialen Sprache der Forschungssituation, aber auch mit Möglichkeiten und Grenzen des Erzählbaren in bestimmten Lebenskontexten zusammenhängt. Mit einem so erweiterten Blick können Erinnerungspraktiken aus unterschiedlichen, aber aufeinander bezogenen Perspektiven sichtbar werden, während zugleich Herausforderungen begegnet wird, die mit der Fluchtsituation und Migrationsgeschichte der befragten Familien für die Forschung einhergehen.

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[1] Ich möchte an dieser Stelle ganz herzlich Rebecca Mörgen, Lena Inowlocki, Nadja Thoma und den anonymen Gutachter*innen für die anregenden und konstruktiven Hinweise zu Vorversionen dieses Textes danken, die mir sehr geholfen haben, die Argumentation zu schärfen.

[2] Es handelt sich dabei um das Habilitationsprojekt der Autorin.

[3] Angela Keppler zeigt etwa die Bedeutung eines Dia-Abends in der Familie für den „familiären Erinnerungshaushalt“ (Keppler 1994, 186).

[4] Tigre ist eine von einer kleineren Sprecher*innengruppe gesprochene Sprache aus Eritrea, nicht zu verwechseln mit dem ebenfalls in Eritrea gesprochenen Tigrinya. 

[5] Zum Umgang mit Übersetzungen vgl. Schnitzer (2017, 87–90).

[6] Inwiefern sich über solche Übersetzungshilfestellungen und Praktiken des Füreinander-Sprechens ungleiche Machtbalancen in der Familie etablieren oder auch manifestieren, habe ich an anderer Stelle herausgearbeitet (vgl. hierzu Schnitzer i. E.).

[7] Erläuterung der Transkriptionsregeln: , – kurzes Absetzen; . – Senken der Stimme; (.) – Redepause, kürzer als eine Sekunde; (3) – Redepause mit der angegebenen Dauer in Sekunden; ERSTEN – Akzentuierung; a::ber – Dehnungen; - – Abbruch eines Wortes oder Satzes.