Reflexionen von SchÜler*innen zu Rassismus und Geschichte im Kontext globalhistorisch perspektivierten Unterrichts
Dominic Studer, Simon Affolter, Philipp Marti
1. Einleitung
Unterrichtssettings sollen gemeinsame Denkräume von Lehrenden und Lernenden darstellen, in welchen gesellschaftliche Macht- und Ungleichheitsverhältnissen sowie deren Bedeutsamkeit für individuelle Subjektpositionen reflektiert werden können (vgl. Füllekruss/Mecheril 2021). Für den Geschichtsunterricht bedeutet dies, dass historisches Lernen stets mit der Reflexion von Gegenwärtigem einhergehen soll, „wobei immer auch Fragen von Zugehörigkeit und einem gesellschaftlichen Selbstverständnis mitverhandelt werden“ (Meyer-Hamme/Chmiel 2023, 103). Doch wie kann dieser Anspruch erfüllt werden und wie wird die Umsetzung von Schüler*innen aufgenommen und reflektiert?
Hegemoniale historische Narrative, die stark von eurozentristischen Perspektiven und nationalen Erzählungen geprägt sind, gilt es im Rahmen des Geschichtsunterrichts kritisch zu reflektieren und dazu müssen alternative Zugänge angeboten werden (vgl. Brüning/Grewe 2020). Inwiefern im Geschichtsunterricht eine globale(re) Perspektive eingenommen werden kann, beschäftigt deshalb auch die Geschichtsdidaktik. Daraus geht die Forderung nach der Verankerung globalhistorischer Perspektiven in neuen Lehrplänen hervor (vgl. Bernhard et al. 2021), wobei anzumerken ist, dass empirische Forschung zur unterrichtspraktischen Umsetzung dazu bis heute weitgehend ein Desiderat darstellt (Bernhard et al. 2021, 18).
Dem Anspruch eines globalhistorisch perspektivierten Geschichtsunterrichts haben sich Lehrer*innen der Sekundarstufe II im Forschungsprojekt „Globalgeschichtliche Perspektiven im Schweizer Geschichtsunterricht“ (Marti 2020–2024) gestellt: In einem partizipativen Setting haben sie Unterrichtseinheiten entwickelt und durchgeführt, wobei drei Unterrichtseinheiten mit dem thematischen Fokus auf Rassismus entstanden sind. Im Folgenden widmen wir uns auf der empirischen Grundlage von Interviews den Reflexionen der Schüler*innen zu diesen Unterrichtseinheiten. Dabei gilt es, diese aus globalhistorischer als auch aus rassismuskritischer Perspektive zu beleuchten. Wir rücken damit die Schüler*innen „mit ihrem je individuellen historischen Orientierungsbedürfnis und persönlichen Lernvoraussetzungen“ (Ammerer et al. 2015, 6) ins Zentrum, was bisher nur spärlich erforscht ist (vgl. Nientied 2021; Harring et al. 2022). Im Kontext der folgenden Analysen ist eine Differenzierung der „geschichtsdidaktische[n] Fundamentalkategorie[n]“ (Buck 2012, 291) der Lebenswelt- und Gegenwartsbezüge unumgänglich; obwohl die beiden Begriffe in der geschichtsdidaktischen Theorie „häufig vermengt“ (Thyroff 2020, 53) werden. Stark heruntergebrochen wird „[m]it Lebensweltbezug […] eine räumliche, mit Gegenwartsbezug eine zeitliche Dimension adressiert“ (Jonas 2018, 15). Bezogen auf die Schüler*innen bedeutet dies, dass mit Gegenwart das aktuelle – und eben gegenwärtige – Weltgeschehen verstanden werden kann. Die Lebenswelt begrenzt sich dabei räumlich auf denjenigen Teil, mit welchem sich die Schüler*innen in ihrem Alltag konfrontiert sehen. Demnach sind Lebensweltbezüge immer auch Gegenwartsbezüge, da die Lebenswelt nicht losgelöst von der Gegenwart existieren kann (Thyroff 2020, 53). Im Unterricht sind Lehrpersonen zwar oft bestrebt, Lebensweltbezüge herzustellen, beziehen sich dabei aber auf Lebenswelten, die sie aus ihrer Sicht den Schüler*innen zuschreiben (vgl. Marti/Studer 2023). Es ist auch deshalb besonders aufschlussreich, sich mit der Perspektive der Schüler*innen auseinanderzusetzen.
Diesen Ausführungen folgend lauten die leitenden Forschungsfragen: Welche Erkenntnisse zu Geschichte und Rassismus formulieren die Schüler*innen, angestossen durch die Reflexion der Unterrichtseinheiten? Und: Inwiefern verwenden die Schüler*innen diese Erkenntnisse, um gegenwärtige Macht- und Ungleichheitsverhältnisse zu reflektieren und dabei mit der eigenen Lebenswelt in Verbindung zu bringen?
2. Forschung zu Rassismuskritik im globalhistorisch perspektivierten Unterricht
Die diesem Text zugrundeliegenden globalgeschichtlichen und rassismuskritischen Ansätze vereinen zahlreiche theoretische Zugänge. Im Folgenden führen wir zentrale Aspekte für das uns leitende Verständnis aus und verweisen auf relevante Forschungserkenntnisse.
Globalgeschichtliche Ansätze bilden kein einheitliches Konzept (Conrad/Eckert 2007, 14; Wenzlhuemer 2017, 10–11) und in der Geschichtswissenschaft besteht kein Konsens über die theoretischen und methodischen Grundlagen sowie die zu untersuchenden Themenbereiche (Lingelbach/Rudolph 2022, 123). Wir orientieren uns hier an einem weiten Verständnis der Globalgeschichte, wie es aktuell in der deutschsprachigen Geschichtsdidaktik diskutiert wird (vgl. Popp 2022). Dabei werden Raum und Zeit als kulturelle Konstrukte verstanden sowie unterschiedliche Weltregionen gleichberechtigt in historische Fragestellungen und Darstellungen miteinbezogen (Grewe 2016a, 302–303). Oft wird globalgeschichtliche Forschung in Form von Verflechtungsgeschichte umgesetzt, wobei globale oder transregionale Verbindungen sowie Aspekte der Interkation und des Austauschs herausgearbeitet werden (vgl. Osterhammel 2005; Conrad 2016; Wenzlhuemer 2017). Damit geht das Streben nach der Überwindung einer nationalhistorischen und eurozentrischen Perspektive einher (vgl. Berg 2013). Mit dem Anspruch einer globalhistorischen Perspektive werden hierdurch auch Anliegen und wissenschaftliche Debatten aufgegriffen, welche sich in den gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Migration und Rassismus in den letzten rund 30 Jahren zunehmend akzentuiert haben: So wurden mit dem Transnational Turn (vgl. Guarnizo/Smith 1998) oder mit den Postcolonial Studies (vgl. Castro Varela/Dhawan 2005) Umbrüche in Gang gesetzt, welche zu Forderungen nach der Überwindung national orientierter Perspektiven in der Forschung (vgl. Glick Schiller 2010) sowie einer Neukonzeption von Gesellschaften als postmigrantisch (vgl. Römhild 2017) oder einer reflexiven Wende in der Migrationsforschung (vgl. Nieswand/Drotbohm 2014) geführt haben, um hier nur einige zu nennen (vgl. Affolter/Sperisen 2021). Bezogen auf die Kritik und Dekonstruktion eurozentrischer Perspektiven und Machtverhältnisse sowie deren Verflechtungen im (post-)kolonialen Kontext sind Postcolonial Studies für die Globalgeschichte bedeutsam. Diesen bzw. der „postkolonialen Verunsicherung“ (Grewe 2016b, 28) wird in den letzten Jahren auch in der Geschichtsdidaktik vermehrt Beachtung geschenkt – mit zahlreichen Anknüpfungspunkten zu mehreren Debatten, wie um Diversität und Inklusion oder um rassismuskritisches, historisches sowie globalgeschichtliches Lernen (Bernhard 2022, 52–53; Bernhard 2024, 24).
Die historische Auseinandersetzung mit Rassismus ist aus einem rassismuskritischen Anspruch elementar: Mit Bezug auf Messerschmidt (2019) betonen beispielsweise Füllekruss und Mecheril (2021) in ihrem Ansatz einer rassismuskritischen Politischen Bildung die Bedeutung historischen Lernens: Gegenwärtige „Macht-Wissen-Komplexe“ könnten dadurch in ihrer „Verwobenheit mit rassistischen Denktraditionen und damit einhergehenden globalen Ungleichheitsverhältnissen“ befragt und reflektiert werden (Füllekruss/Mecheril 2021, 229). Auch in einem geschichtsdidaktischen Sammelband wird der Frage nachgegangen, wie „historisches Lernen als Rassismuskritik betrieben werden kann und sollte“ (Brüning et al. 2016, 9). Allerdings, so bilanziert Ullrich (2016, 163) im selben Band, habe die Geschichtsdidaktik es bisher „nur in unzureichender Weise geschafft, ihr rassismuskritisches Potenzial abzurufen“. Als ein „Randthema“ verortet Deile (2020, 99) die „Rassismuskritik […] im Zusammenhang schulischen Lernens und auch geschichtsdidaktischer Reflexion“, wobei er betont, dass „gerade die Möglichkeiten des spezifisch Historischen“ helfen könnten, um „sich mit rassistischer Diskriminierung auseinander zu setzen“. Problematisch sei, dass „der herkömmliche, meist genetisch-chronologisch ausgerichtete Geschichtsunterricht rassistische Narrative einer vorgeblich ethnisch homogenen ‚Nation‘ begünstigt“ (Brüning 2016, 188; vgl. auch Völkel 2016). Die Einnahme einer globalhistorischen Perspektive kann deshalb hilfreich sein, um „die eigene Gesellschaft von einer anderen Perspektive aus zu betrachten und den gewohnten nationalen bzw. eurozentrischen Blickwinkel zu verlassen“ (Schwabe 2022, 39). Auch Georgi und Freund (2022, 344) betonen, dass für rassismuskritisches historisches Lernen bei der Umsetzung im Unterricht die Einnahme einer globalen Perspektive naheliegend sei, und verweisen darauf, dass hierbei Forschung zur „Sichtweise von Schüler:innen von besonderem Interesse“ sei. Damit Schüler*innen sich „als handlungsfähiges Subjekt im Kontext gesellschaftlicher Strukturen […] begreifen“ (Meyer-Hamme/Chmiel 2023, 114) können, müssen im Geschichtsunterricht somit auch Reflexionen angestossen werden, welche die eigene Subjektposition in gesellschaftlichen Verhältnissen betreffen. Denn „[r]assismuskritisches historisches Lernen bedeutet“ auch, „sich des eigenen und des gesellschaftlichen Rassismus bewusst zu sein“ (Brüning 2021, 13).
3. Forschungsdesign und Sample
Die Interviews mit den Schüler*innen sind Teil eines Forschungsprojekts, in dem 13 Deutschschweizer Geschichtslehrer*innen der Sekundarstufe II in einem partizipativen Setting Unterrichtseinheiten mit einer globalgeschichtlichen Perspektive erarbeiteten. In Entwicklungstreffen standen den Lehrer*innen dabei Fachexpert*innen aus Geschichtswissenschaft und Geschichtsdidaktik beratend zur Seite. [1] Die offene theoretische Verortung der Globalgeschichte im Projekt ermöglichte dabei eine pragmatische geschichtsdidaktische Umsetzung im Unterricht über globalgeschichtliche Perspektiven, die „ein historisches, beispielsweise nationalgeschichtlich relevantes Thema in transregionale oder eben globalgeschichtliche Zusammenhänge ein[ordnen]“ (Popp et al. 2019, 9). Dies ermöglicht, bestehende Lehrpläne, die oft keinen globalgeschichtlichen Bezug haben und „in einen national- und europageschichtlich ausgelegten Gesamtzusammenhang“ (Popp 2022, 160) eingebettet sind, mit einer globalgeschichtlichen Perspektive anzureichern.
Die drei Doppellektionen umfassenden Unterrichtseinheiten sollten den geltenden kompetenzorientierten Lehrplänen entsprechen und aktuellen geschichtsdidaktischen Ansprüchen genügen. Die Themenwahl war frei. Die entwickelten Unterrichtseinheiten wurden in einer Klasse (10. oder 11. Schuljahr) der jeweiligen Lehrperson durchgeführt und die Unterrichtslektionen wurden vollständig videographiert. Anschliessend wurden mit drei Schüler*innen aus jeder Klasse „Stimulated-Recall“-Interviews geführt, in welchen der jeweilige Unterricht mit Hilfe von Videosequenzen reflektiert wurde (vgl. Calderhead 1981; Messmer 2015). Bei der Auswahl der Schüler*innen wurden die Lehrpersonen angehalten, ein breites und diverses Leistungsspektrum abzubilden. Für die Auswertung der Interviews orientieren wir uns an der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Kuckartz/Rädiker 2022). [2] Das deduktiv-induktive Vorgehen gewährleistet dabei, „subjektive Denkmuster, Argumentationen und Herleitungen heraus[zu]filtern“ (Barsch 2016, 218). Die Reliabilität der Kodierarbeiten wurde durch konsensuelles Kodieren des Erst- und Zweitautors sichergestellt (vgl. Elo et al. 2014).
Im Zuge der Analyse hat sich gezeigt, dass die drei Unterrichtseinheiten zu Rassismus bei den Schüler*innen zu aufschlussreichen Reflexionen geführt haben. Dabei verdeutlichen die Schwerpunkte der verschiedenen Unterrichtseinheiten die vielfältigen Artikulationen von Rassismus (vgl. Demirović/Bojadžijev 2002): Eine Unterrichtseinheit behandelte „die Betrachtung von Rassismus als globales Phänomen“ (LP14), [3] wobei der Fokus auf Rassentheorien und deren zeitgenössische Kritik gelegt wurde. Konkreter befasste sich ein Lehrer mit der Leitfrage, „inwiefern […] Konzepte der Aufklärung mit rassistischen Denkweisen“ zusammenhängen (LP23), und stärker gegenwartsbezogen behandelte eine Lehrerin das Konzept der kulturellen Aneignung beispielhaft an der Geschichte der „Schweizer“ Schokolade sowie der Sängerin Adele (LP21). In allen Unterrichtseinheiten wurden explizit Gegenwartsbezüge hergestellt und die Schüler*innen waren aufgefordert, eigene Positionen einzubringen, zu argumentieren und zu reflektieren. Die drei Lehrpersonen verfolgten damit Ziele eines rassismuskritischen historischen Lernens, welches Macht- und Ungleichheitsverhältnisse in den Blick nimmt (Lücke/Messerschmidt 2020).
Die im Folgenden analysierten Interviews mit neun Schüler*innen ergaben sich aus dem Fokus auf diese drei Unterrichtseinheiten. Dabei gilt es insbesondere hinsichtlich der hier besprochenen Lebensweltbezüge zum diversitätskritischen Unterrichtsthema Rassismus die Zusammensetzung der Schüler*innen kritisch zu erwähnen: Alle neun gaben als Erstsprache Schweizerdeutsch an, eine Person ergänzte hierzu Deutsch und eine andere Italienisch und Türkisch. Drei gaben an, dass mindestens ein Elternteil im Ausland geboren sei, und sieben, dass mindestens ein Elternteil ein Studium abgeschlossen habe. Der Altersschnitt der neun Schüler*innen lag zur Zeit der Interviews bei 17 Jahren, mit einer Spannbreite von 16 bis 18 Jahren. Vier der Schüler*innen identifizierten sich als weiblich und fünf als männlich. Damit entspricht die Auswahl der wenig diversen Zusammensetzung der Schüler*innenschaft an Schweizer Gymnasien insgesamt (vgl. SKBF 2023).
4. Ergebnisse
Die thematische Fokussierung auf Rassismus aus globalgeschichtlicher Perspektive im Geschichtsunterricht eröffnet verschiedene Potentiale sowohl aus geschichtsdidaktischer als auch aus rassismuskritischer Perspektive. In der Analyse zeigt sich, dass sich in den Einordnungen und Reflexionen der Schüler*innen zu den erlebten Unterrichtseinheiten zwei Ebenen unterscheiden lassen: Bei Reflexionen zu Geschichte und Rassismus (4.1) handelt es sich um die Einordnungen der Unterrichtseinheiten seitens der Schüler*innen hinsichtlich ihres Geschichts- und Rassismusverständnisses. Die Reflexion von Gegenwarts- und Lebensweltbezügen (4.2) verweist darüber hinaus auf die Auseinandersetzungen mit Ungleichheit und Teilhabe in gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen.
4.1 Reflexionen zu Geschichte und Rassismus
In nahezu allen Interviews wird deutlich, dass bei den Schüler*innen durch die Unterrichtseinheiten, losgelöst von den konkreten Unterrichtsthemen, Reflexionen zum eigenen Geschichtsverständnis angestossen worden sind. Viele Schüler*innen verweisen auf den Verflechtungscharakter von Geschichte als ein neuerkanntes Konzept, was zeigt, dass „die gewohnten Frage- und Denkhorizonte […] erweitert“ (Popp 2022, 166) werden konnten. Es werden Unterschiede zum bisherigen Unterricht aufgeführt, in dem „immer so ein wenig dem Zahlenstrahl nachgegangen“ worden sei und „es im Hirn nie richtig geschaltet [hat], dass das jetzt gleichzeitig abläuft, […] an zwei verschiedenen Orten der Welt […] zum Beispiel. […] Das war jetzt neu so“ (S2318, 132). Diese Aussage verdeutlicht, dass der „genetisch-chronologische Geschichtsunterricht“ (Völkel 2016, 49) bisher nicht dazu beigetragen hat, Verflechtungen und Gleichzeitigkeiten zu erkennen. Weiter wird in den Unterrichtseinheiten die historische Bedingtheit gegenwärtiger Phänomene als neue Erkenntnis wahrgenommen (S1410, 167–169): Ein Schüler findet es „mega krass“, dass „unser Wohlstand heute […] immer [noch] auf solcher Ausbeutung basiert“ (S2316, 98) und ein weiterer ist sich „nicht bewusst gewesen“, dass „Sklavenarbeit […], einen Zusammenhang hat mit uns“ (S2107, 218). Hier wird durch den Unterricht eine Reflexion gegenwärtiger Ungleichheitsverhältnisse ausgelöst und mit Ausdrücken wie „krass“ oder „ein Licht aufgegangen“ (S2310, 10) wird die individuelle Bedeutsamkeit dieser Erkenntnisse hervorgehoben. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass sich die Schüler*innen vertieft mit dem Unterrichtsgeschehen befasst haben. Ein Schüler fasst zusammen:
Ja also bis jetzt ist das noch nie passiert, also dass ich mir gedacht habe: „Oh das ist jetzt der Grund, warum das so ist.“ Also ich muss sagen, […] ich finde Geschichte […] schon spannend, aber ich fand nur das spannend, was, weiss auch nicht, in den letzten hundert Jahren oder so passiert ist, weil ich immer das Gefühl hatte, das andere beeinflusst uns ja nicht. Und, das habe ich jetzt auch bemerkt, das stimmt überhaupt nicht, dass es uns nicht beeinflusst. [D]as hängt alles zusammen, und das ist sehr spannend, und auch sehr gut, dass uns das mal aufgezeigt wurde. (S2320, 39–40)
Die Aussage bezieht sich auf die Verflechtung von Rassismus und Aufklärung und es ist diese Verbindung, welche zur Erkenntnis führt, dass diese Auseinandersetzung relevant ist für gegenwärtige Verhältnisse. Zudem zeigt sich ein weiteres Potential der Unterrichtseinheiten: Die Schüler*innen werden angeregt, ihnen schon bekannte Konzepte oder Themen neu zu beurteilten und zu kontextualisieren. Hier scheint die „Korrekturfunktion“ und die „erweiterte Kontextualisierung“ der „globalgeschichtlichen Perspektivierung“ bei den Schüler*innen etwas angestossen zu haben (Bernhard et al. 2021, 24). Deutlich wird dies beispielhaft in der Diskussion zu ebendieser Unterrichtseinheit:
[W]ir haben schon früher in der Geschichte Aufklärung angeschaut, wir haben […] Rassismus angeschaut, wir haben ein wenig Kolonialismus angeschaut, aber […] wir haben es noch nie miteinander verbunden. Und da ist uns heute wirklich […] ein Licht aufgegangen, […] wie extrem das zusammenhängt, […] also so macht die Geschichte plötzlich auch ein bisschen mehr Sinn. (S2320, 10)
Die Verflechtung von Geschichte wird hervorgeheben: Themenkomplexe, die als bisher isoliert wahrgenommen wurden, werden durch die neue Perspektivierung – und unter dem Fokus von Rassismus – aufeinander bezogen und dadurch sinnhafter (S2316, 12; S2318, 10). Dieser Punkt wird von allen drei Schüler*innen der Klasse direkt zu Beginn des Interviews aufgegriffen. Eine Schülerin verdeutlicht die neue Erkenntnis, dass Aufklärung und Rassismus „zusammen verknüpft“ sind mit dem Ausspruch „das war […]: Wow!‘“ (S2318, 134). Ein Schüler einer anderen Klasse hebt hervor, dass er sich zu Beginn der Unterrichtseinheit gedacht habe, dass „die Schweiz […] ja nicht kolonial“ gewesen sei und erst „durch diese Diskussionen, durch diesen Unterricht“ sei ihm „bewusst geworden, dass die Schweiz kolonialistisch gewesen“ sei (S2114, 194). Ein Mitschüler hat es „recht interessant gefunden, einfach […] selbst [zu] merken, dass so eine Diskussion Gedanken von einem selbst oder die Meinung so verändern“ können (S2107, 238). Diese Aussage zum metakognitiven Denkprozess kann als Indiz für eine Neuperspektivierung gesehen werden (vgl. S2320, 39–40).
Die Unterrichtseinheiten werden teilweise auch mit dem bisher erlebten Geschichtsunterricht kontrastiert. Ein Schüler sagt dazu:
Also […] eine andere Geschichtslehrerin, […] die hat uns so gesagt: „[W]ir werden einfach so die Sicht von Europa tragen, […] vor allem so europäische Geschichte behandeln und Uneinigkeiten [Konflikte] nicht anschauen.“ Ich finde es halt eigentlich noch schade, wenn man eine eingeschränkte Sicht hat, wo halt heute alles so vernetzt ist. (S1414, 272–280)
Der Schüler erwartet einen über die europäische Perspektive hinausgehenden Geschichtsunterricht und begründet dies mit den gegenwärtigen globalen Verflechtungen. Ein erster Schritt in Richtung der geforderten „Überwindung des Eurozentrismus“ (Bernhard 2022, 53) kann erkannt werden, indem Schüler*innen bisherigen Geschichtsunterricht, oder gar ihre eigene Perspektive, als eurozentrisch reflektieren (vgl. auch S2310, 25; S2316, 85).
Aus geschichtsdidaktischer Perspektive sollen den Schüler*innen durch die Verbindung von rassismuskritischem Unterricht und Globalgeschichte Alteritätserfahrungen ermöglicht werden. Aufgrund der meist klaren Verurteilung von rassistischen Positionen resultieren diese jedoch teilweise in eine gegenwärtige Rassismen verharmlosende Abgrenzung: So erwähnt eine Schülerin mehrmals, dass sie „ein bisschen enttäuscht“ sei „über das, was früher gewesen war“ (S1410, 187, 213), sie aber auch „ein bisschen Nachsicht“ habe, weil „die Leute damals […] es ja nicht anders wissen“ konnten (S1410, 215–217). Ein anderer Schüler schildert bezüglich rassistischer Kategorien im Kontext der Aufklärung: „[D]as finde ich recht krass, und ich finde das auch gar nicht verständlich, aber das hängt auch damit zusammen, dass wir nicht mehr in dieser Zeit leben, also, dass wir völlig anders aufgewachsen sind und gebildet wurden“ (S2320, 68).
Die empfundene Alterität bezieht sich dabei auf eine diachrone Ebene; das heisst, die Vergangenheit wird als von der Gegenwart verschieden und aus einer gegenwärtigen Perspektive nicht immer nachvollziehbar wahrgenommen (vgl. Buchsteiner et al. 2017, 72; Brüning/Grewe 2020). Aus rassismuskritischer Perspektive gilt es zu betonen, dass mit dem Verweis auf die Gegenwart, in welcher „anders aufgewachsen“ und „gebildet“ wird, der Schüler eine Distanz herstellt, in welcher er eine post-rassistische Normalität imaginiert. Damit wird der „gewöhnliche Antirassismus“ bedient, wie ihn Müller (1992) treffend benannt hat: Rassismus wird eng mit ideologischen Positionen in Verbindung gebracht, wogegen aus einem antirassistischen Verständnis Position ergriffen wird. Diese Perspektive schliesst jedoch strukturellen Rassismus als gesellschaftliches Machtverhältnis (vgl. Rommelspacher 2011) nicht selbstverständlich ein. Dies verdeutlicht die Bedeutsamkeit, mit den Schüler*innen zu reflektieren, „welche Fragen, Deutungen, Stereotypen, Vorurteile […] [die historische Auseinandersetzung mit Rassismus] bei uns selbst auslöst und anspricht“ (Deile 2020, 93). Erst dadurch führt die Alteritätserfahrung nicht zu einer Relativierung des Gegenwartsbezugs: Die Erkenntnis, dass historisches Unrecht wie die koloniale Ausbeutung bis heute nachwirken – es „heute ähnlich läuft“ (S2114, 204) – wird von Schüler*innen mehrfach geäussert (vgl. S2320, 68; S2318, 10).
4.2 Reflexion von Gegenwarts- und Lebensweltbezügen
Alle neun Schüler*innen weisen der thematischen Auseinandersetzung mit Rassismus einen Gegenwartsbezug zu. Lebensweltbezüge hingegen werden von sieben der neun Schüler*innen genannt und sind insgesamt in den Interviews weniger präsent. In unserer Analyse der Schüler*innenaussagen kann eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema des Unterrichts erkannt werden, wenn der Gegenwartsbezug eng mit der eigenen Lebenswelt in Beziehung gebracht wird. Dem Unterricht und dem Thema werden damit starke gesellschaftliche Relevanz zugesprochen sowie diese mit der eigenen, individuellen Auseinandersetzung verschränkt. Beispielhaft zeigt sich dies bei einer Schülerin:
Es gibt ja heute leider noch sehr viele, die […] so rassistisch sind oder auch fremdenfeindlich und vor allem auch in einem eher konservativen Land [gemeint ist die Schweiz], […] darum finde ich einfach das ist wichtig zu zeigen, dass das nicht der Weg ist, […] es soll nicht sein und darum sollte man es auch thematisieren. […] Dass […] so radikale Leute so ein bisschen sehen, dass das, was sie machen, nicht gut ist. (S1410, 49–55)
Das Zitat zeigt eine klare Werthaltung gegenüber Rassismus, welche aber zugleich mit einem reduzierten Rassismusverständnis einhergeht, das individualisierten Rassismus einer Gruppe „radikaler Leute“ zuschreibt. Die Schülerin hält fest, dass sie sich auch in ihrem Alltag intensiv mit Rassismus auseinandersetze, was ihr Interesse an der Unterrichtseinheit begründe (S1410, 292).
Weiter führt die Schülerin aus, dass sie im Alltag Menschen auf rassistische Aussagen anspreche, sie sich aber beim Sprechen über Rassismus nicht „wirklich hundert Prozent sicher“ fühle und deshalb „Geschichtsunterricht über Rassismus sehr wichtig“ sei (S1410, 144–146; vgl. auch S2114, 226). Generell ist den Schüler*innen Rassismus aus den (Sozialen) Medien ein Begriff und sie informieren sich auch teilweise darüber, was einen starken Lebensweltbezug eröffnet (S2101, 41; S1410, 84; S1406, 51). Ein Schüler verweist bezüglich einer Debatte über einen Schwarzen Schauspieler in einer populären Superheldenserie auf Videos „von irgendwelchen Youtubern“ [4], wobei „der eine […] über Rassismus, über das Problem gesprochen“ habe (S1414, 115–117). Aus derselben Klasse sagt eine Schülerin, dass ihr „vor allem durch Social Media […] beigebracht worden“ sei, dass „man ein paar Begriffe […], natürlich das N-Wort“, nicht verwenden sollte, sie jedoch im Alltag „nie darüber aufgeklärt worden“ sei, „dass das eigentlich ein Wort ist, das man nicht brauchen sollte“ (S1410, 108–112).
Geschichtsunterricht wird explizit als ein Ort genannt, an dem sich Schüler*innen mit Rassismuskritik befassen möchten – allenfalls auch aus Mangel an anderen Gefässen. Der historischen Auseinandersetzung wird dabei eine Bedeutung für die eigene Orientierung in gesellschaftlichen Debatten zugesprochen. Eine Schülerin erwähnt die kontroverse Diskussion zur Darstellung von „Kolonialismus“ in Museen, „wo man dann immer ein bisschen am Streiten ist, ob dann das gut ist, wie es abgebildet wird“ (S2114, 238–240). Bezogen auf die postkolonialen Kämpfe um Denkmäler wird darauf verwiesen, dass der Unterricht einen Beitrag leiste, damit man „selbst entscheiden kann […]: ‚Das ist für mich jetzt eher gut oder eher schlecht‘“ (S2318, 55–58). Diese Ausführungen weisen auch darauf hin, dass diese Auseinandersetzungen auch jenseits und unabhängig vom Unterricht stattfinden und der Unterricht zur Orientierung sowie selbständigen Urteilsbildung der Schüler*innen beitragen kann. Dies wird von Schüler*innen explizit erwähnt, indem sie auf die Diskussionen im Anschluss an den Unterricht mit ihren Schulkolleg*innen (S2114, 100; S2320, 12) oder auch zuhause mit den „Eltern oder so, beim Essen“ (S2316, 17) verweisen. Diese Zuschreibung gesellschaftlicher und lebensweltlicher Relevanz einer thematischen Auseinandersetzung mit Rassismus ist auch eng mit dem eigenen politischen Interesse verschränkt (S2320, 43). Allerdings wird dies in den Interviews selten explizit genannt. Eine Ausnahme ist eine Schülerin, die sich selbst als „ein bisschen in linken Kreisen“ verortet und „halt einfach noch viel über solche Dinge“ lese (S2114, 254–260). Die persönlichen politischen Orientierungen dienen dieser Schülerin als lebensweltliche Begründung des eigenen Interessens am Unterrichtsgeschehen.
Obwohl der Gegenwartsbezug von allen Schüler*innen uneingeschränkt zugesprochen wird, zeigen sich in Bezug auf die eigenen Lebensweltbezüge bedeutende Ambivalenzen: Während eine Schülerin das Thema als relevant wahrnimmt, weil es in der Schweiz alltäglich sei (vgl. S1014, 49–55), meint ein Schüler aus derselben Klasse, dass das Thema Rassismus „nicht ultrapräsent in der Schweiz“ und seine „Generation […] sensibilisierter“ (S1414, 65–77) sei: „[E]s gibt sicher auch nicht solche Übergriffe oder […] weniger als jetzt zum Beispiel in Amerika, wo es halt noch viel krassere konservative Menschen hat, die vielleicht […] anders geprägt worden sind“ (S1414, 65–77).
Zudem habe er selbst „noch nie so richtig Rassismus […] miterlebt“ (S1414, 71). Mit seinen Ausführungen verdeutlicht der Schüler ein reduktionistisches Verständnis von Rassismus, welches sich auf ideologische Positionen und Handlungen beschränkt und zugleich rassistische Machtverhältnisse und Wissensordnungen, welche auch seine Lebenswelt betreffen, explizit negiert. Ähnlich sieht dies eine Schülerin aus einer anderen Klasse, die das Thema zwar als relevant, die Diskussion und eine damit einhergehende Kontroversität jedoch als eher unnötig empfunden hat: „[E]s streiten sich ja auch selbst Experten darüber und ob wir jetzt da als Fünftklässler darüber diskutieren […] und am Schluss ein Fazit haben müssen, […] finde ich […] ein bisschen komisch“ (S2114, 148).
Das Thema Rassismus wird von einem weiteren Schüler zwar als „nicht eines der spannendsten Themen“ wahrgenommen, er beurteilt es aber trotzdem als relevant, da „hier eine Verbindung zur Gegenwart“ hergestellt werden konnte (S2316, 111).
Diese Aussagen der Schüler*innen verdeutlichen Distanzierungsmuster von Rassismus, die dazu dienen, „Rassismus als Ausnahme- und Randphänomen“ (Messerschmidt 2010, 41) erscheinen zu lassen, wodurch eine Beschäftigung im Unterricht relativiert wird. Trotz der Auseinandersetzung und Anerkennung von Rassismus als gesellschaftlich relevantem Machtverhältnis werden dessen Auswirkungen auf die eigene Subjektposition in der gesellschaftlichen Ordnung ausgeklammert, relativiert oder negiert. Diese fehlende Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt ist ein starker Ausdruck fehlender Reflexion sogenannt „weisser Privilegien“ (Bönkost 2019).
5. Diskussion und Fazit
Die hier analysierten neun Schüler*inneninterviews zeigen, dass durch die Unterrichtseinheiten Reflexionen über die globale Verflechtung von Geschichte angestossen werden konnten. Aussagen wie „krass“ (S2316, 98) oder „ein Licht aufgegangen“ (S2310,10) verdeutlichen dabei, dass diese thematischen, regionalen und zeitlichen Verbindungen Erkenntnisse ermöglichen, welche die Schüler*innen in Bezug auf gegenwärtige gesellschaftliche Verhältnisse als relevant beurteilen. Der „herkömmliche“ Geschichtsunterricht wird im Vergleich als eurozentrisch, die thematische Vertiefung als isoliert wahrgenommen. Die Neuperspektivierung früher schon behandelter Inhalte erweist sich generell als fruchtbar und zeigt auf, dass eine pragmatische Umsetzung der globalgeschichtlichen Perspektive im Unterricht durchaus zielführend ist, gerade auch hinsichtlich der Auseinandersetzung mit bestehenden Narrativen (Bernhard et al. 2021, 24).
Die Interviews beziehen sich auf Unterrichtseinheiten mit unterschiedlichen Zugängen zum Themenschwerpunkt Rassismus. Indem sie Rassismus als gegenwärtiges gesellschaftliches Phänomen verorten, schreiben die Schüler*innen dem rassismuskritischen Aspekt des Unterrichts einen Gegenwartsbezug zu. Dieser Gegenwartsbezug geht aber nicht zwingend damit einher, dass die Schüler*innen in der Auseinandersetzung mit Rassismus auch eine individuelle Relevanz erkennen. Grundsätzlich zeigt sich, dass ein Gegenwartsbezug öfters gemacht wird und für einen konkreten Lebensweltbezug wiederum eine vertiefte Auseinandersetzung der Schüler*innen mit dem Thema notwendig ist, beispielweise motiviert durch ein Interesse an Politik oder ausserschulische Berührungspunkte (Soziale Medien, politischer Aktivismus, Museen, Populärkultur usw.). Dies deckt sich mit Erkenntnissen von Jonas (2018, 173), die in ihrer Studie zeigen konnte, „dass Lebensweltbezüge eine interessensinduzierende Wirkung haben“ und dabei vor allem „aktuelle politische Themen sehr gut als Lebensweltbezüge genutzt werden können“. Zudem bestätigt ihre Forschung ebenfalls „die Wirksamkeit des Unterrichtsprinzip[s] Gegenwartsbezug auf das subjektive Bedeutsamkeitserleben der Lernenden, sofern es sich dabei auch um einen Lebensweltbezug handelt“ (Jonas 2018, 177). Vor dem Hintergrund der eher homogenen Schüler*innenschaft des hier untersuchten Samples wäre es zukünftig relevant, Daten auf weiteren Schulstufen zu erheben und dadurch potenziell diversere Lebensweltbezüge zu erfassen.
Vereinzelt werden die Erfahrungen aus dem Unterricht direkt mit den eigenen politischen Positionen und mit Aktivismus in Verbindung gebracht, wenn betont wird, dass „die neueren Generationen, also meine Generation, langsam anfängt, weiter dafür zu kämpfen, und nicht sagt: ‚Ja jetzt sind sie ja nicht mehr so unterdrückt, jetzt lassen wir es sein‘“ (S1410, 189). Dieser kämpferische Ausdruck zeugt von einer Politisierung und einem Bewusstsein der eigenen Subjektposition in diesen gesellschaftlichen Verhältnissen – auch wenn hier starke dichotome Zugehörigkeitsordnungen verinnerlicht scheinen, die sich zugleich auf generationale Differenzen als auch auf Otheringprozesse beziehen.
Der Gegenwartsbezug und partiell gar auch ein allgemeiner Lebensweltbezug bedeuten aber noch nicht, dass auch die eigene Subjektposition in den damit einhergehenden gesellschaftlichen Macht- und Ungleichheitsverhältnissen reflektiert wird. Diese wird teilweise sogar explizit abgewiesen (vgl. auch Savenije et al. 2014a, 2014b). Das ist insbesondere aus rassismuskritischer Perspektive bemerkenswert: Rassismus als gesellschaftliches Machtverhältnis (vgl. Rommelspacher 2011) zu verstehen, bedeutet auch, dessen Auswirkungen auf die eigene Rolle in der Gesellschaft zu reflektieren (vgl. DiAngelo 2019). Aussagen wie „noch nie so richtig Rassismus […] miterlebt“ (S1414, 71) deuten darauf hin, dass auch trotz des Gegenwartsbezugs und dem Zuspruch einer gesellschaftlichen Relevanz dessen Auswirkungen auf die eigene Subjektposition in der Gesellschaft verkannt sowie auch aktiv aberkannt werden kann.
Die Reflexionen der Schüler*innen heben jedoch das Potenzial globalgeschichtlich perspektivierten Unterrichts hervor, um in der Auseinandersetzung mit Rassismus Gegenwarts- und teilweise auch Lebensweltbezüge herzustellen. Dabei ist es wichtig, diese explizit zu machen, sodass eine „Verschiebung von Rassismus in die Vergangenheit“ oder in entfernte geographische Räume verhindert werden kann (Messerschmidt 2010, 52). Hierzu muss Rassismus als strukturierendes Machtverhältnis gegenwärtiger Gesellschaften wahrgenommen werden. Hinzu kommt – das zeigen die Aussagen der Schüler*innen ebenfalls –, dass sich diesem „gegenwärtigen Rassismus […]nur dadurch begegnen [lässt], dass man sich selbst zum Thema macht“ (Deile 2020, 93). Für den Unterricht bedeutet das, mit den Schüler*innen mögliche Gegenwarts- und Lebensweltbezüge zu diskutieren und diese dabei auf eine selbstreflexive Ebene zu heben (vgl. Scharathow 2011), um ebendiese Distanzierungsmuster (vgl. Messerschmidt 2010) offenzulegen und ihnen entsprechend entgegenzuwirken.
Literatur
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[1] Wir bedanken uns herzlich für die wertvollen Inputs und Kommentierungen von Christof Dejung, Susanne Popp, Bernhard Schär, Andreas Zangger und Béatrice Ziegler.
[2] Die Transkripte sind auf dem Datenrepository DaSCH (2024) verfügbar.
[3] Die Zitate sind der jeweiligen Unterrichtsplanung entnommen.
[4] Wir schreiben Schwarz gross, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein gesellschaftlich konstruiertes Zuordnungsmuster handelt und keine reelle Eigenschaft, die auf phänotypische Merkmale zurückzuführen ist. Vielmehr steht es als Fortführung einer Selbstbezeichnung im Kampf um Selbstbestimmung (dos Santos Pinto et al. 2022, 12).
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