„ES FEHLT ETWAS IN DER GESCHICHTE ...“: (UN)SICHTBARKEIT UND REPRÄSENTATION VON DIVERSITÄT IN DER SCHULISCHEN WISSENSVERMITTLUNG AUS DER PERSPEKTIVE DER POSTMIGRANTISCHEN GENERATION
Dilyara Müller-Suleymanova
1. Einführung
Die Schweizer Gesellschaft ist von Migration geprägt: Mehr als 40 % der Bevölkerung haben laut Bundesamt für Statistik (2016) einen Migrationshintergrund. Doch anders als beispielsweise in Deutschland, wo 2001 öffentlich anerkannt wurde, dass Deutschland eine Einwanderungsgesellschaft ist (Foroutan 2018), hat die Migrationsgeschichte das Selbstbild der Schweiz noch nicht verändert/geprägt (Lüthi/Skenderovic 2019). Einerseits ist Vielfalt Teil des Schweizer Selbstverständnisses, andererseits beschränkt sich diese Vielfalt auf vier offiziell anerkannte Sprachen und Sprachregionen. Wie Lüthi und Skenderovic (2019, 11) feststellen, hat die Schweizer Geschichtsschreibung die Migration noch nicht in ihr Metanarrativ („master narrative“) aufgenommen, obwohl gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch Arbeits- und Fluchtmigration die Schweiz zu einem Land der Zuwanderung wurde. Die Migration hat auch die Klassenzimmer in Schweizer Schulen geprägt: Ein grosser Teil der Schüler*innen haben einen sogenannten Migrationshintergrund (Bundesamt für Statistik 2021; Affolter/Sperisen 2023, 24). Sie wachsen mit mehreren Sprachen und kulturellen Bezügen auf, ihre Biographien und ihr Alltag sind transnational geprägt. Diese Diversität wird in den Schweizer Lehrbüchern nur gering abgebildet: So werden Themen wie Diversität, Rassismus und Migration zwar thematisiert, meistens aber losgelöst von den Lebensrealitäten der Schüler*innen (Affolter/Sperisen 2023, 46 ff.).
Die Forschung zu Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der Schweiz legte bis jetzt den Fokus häufig auf die Analyse ihrer strukturellen oder sozioökonomischen „Integration“; sprich: auf den Bildungsweg und die Integration in den Arbeitsmarkt (u.a. Schnell/Fibbi 2016; Engelage 2019; Gomensoro/Bolzman 2019). Ihre subjektiven Perspektiven, Biographien und Zugehörigkeitskonstruktionen wurden u. a. in Studien von Juhasz und Mey (2003) und Mey (2017) und Praktiken der (Selbst-)Kategorisierungen in schulischen Kontexten in Studien von Oester und Brunner (2015), Oester et al. (2008) sowie von Duemmler (2014) analysiert. Die Wahrnehmung von schulischen Inhalten und historischen Narrativen durch Jugendliche vor dem Hintergrund ihrer multiplen Bezüge und generationsübergreifenden Erinnerungen und Erzählungen wurde bisher wenig thematisiert.[1] Hier setzt der Beitrag an und geht den folgenden Fragen nach: Wie werden die in der Schule vermittelten historischen Inhalte von den Schüler*innen wahrgenommen? Was fehlt aus ihrer Sicht in diesen Darstellungen und was wird verzerrt dargestellt? Welche Folgen hat dies für die Schüler*innen, für ihr Zugehörigkeitsgefühl und ihre Teilhabe?
Der Beitrag zeigt, wie junge Menschen die in der Schule vermittelten Inhalte wahrnehmen; wie sie hegemonialen Diskurse, Machtverhältnisse und Ordnungen, die das Schulwissen strukturieren und organisieren, enthüllen und problematisieren. Exklusion findet nicht nur durch schulische Praktiken, institutionelle Routinen oder alltägliche Interaktionen statt. Machtverhältnisse und Ungleichheiten werden auch durch Erzählungen darüber reproduziert, wer zum nationalen „Wir“ gehört und wer nicht (Mecheril 2003). Die Schule vermittelt allgemeingültige Vorstellungen über die Gemeinschaft, darüber wie die Nation „imaginiert“ wird (Anderson 1991). Über die schulische Bildung werden diese Narrative zu hegemonialen Diskursen und konstituieren selbstverständliches, normatives Wissen (Althusser 1971; Apple 1979). Solche Repräsentationen finden sich z. B. in Schulbüchern und in den Inhalten des Lehrplans (Crawford/Foster 2006; Hintermann/Johansson 2010; Hintermann et al. 2014; Bergold-Caldwell/Georg, 2018). So werden Jugendliche nicht nur durch schulische Routinen und alltägliche Fremdzuschreibungen, sondern auch durch die Unsichtbarmachung und durch verzerrte und stereotype Bilder der schulischen Wissensproduktion ausgegrenzt und rassifiziert (Üllen/Markom 2016; Markom/Weinhäupl; Bergold-Caldwell/Georg 2018, 69–70). Somit befasst sich der Beitrag mit den Schlüsselthemen des Themenhefts: zum einen mit der Frage, wie die Akteur*innen auf das spezifische hegemoniale Wissen und die Repräsentationen reagieren sowie wie sie diese durch den Lehrplan eingeschriebenen Machtverhältnisse aufdecken und diesen bewusst werden. Zum anderen geht es auch um die Frage, welche Folgen dieses schulisch reproduzierte und situierte Wissen für die jungen Menschen hat. Es stellt die Perspektiven und Wahrnehmungen der jungen Menschen, der „Empfängerseite“ der Bildungsbotschaften und -erzählungen, in den Mittelpunkt.
Der Beitrag basiert auf den Daten zweier Gruppendiskussionen, welche im Rahmen zweier Projekte mit Jugendlichen der sogenannten „zweiten Generation“[2] in der Deutschschweiz durchgeführt wurden.[3] Die eine Gruppendiskussion fand mit Jugendlichen im Alter zwischen 17 und 26 Jahren unterschiedlicher ethnischer Herkunft statt und widmete sich den Erfahrungen des Aufwachsens als Kinder von Migrant*innen in der Schweiz. Diese Jugendlichen befanden sich in unterschiedlichen Bereichen der nachobligatorischen Bildung – Berufsausbildung, Fachmittelschule oder Gymnasium. Die Gruppendiskussion wurde als eine offene und partizipative Gruppendiskussion konzipiert, die zu diskutierenden Themen wurden in einer vorangegangenen Brainstorming-Sitzung erarbeitet. In dieser Sitzung kamen Teilnehmende auf mehrere Themen, über welche sie sich später in den Gruppen austauschten. Die Gruppendiskussion wurde in diesem Sinne nicht von der Forscherin direkt moderiert, sondern von den Jugendlichen selbst gesteuert und geführt. So wurden die Themen der schulischen Inhalte von den Jugendlichen selbst zur Sprache gebracht und nicht von der Forscherin initiiert. Die zweite Gruppendiskussion fand mit Jugendlichen statt, deren Eltern aus dem ehemaligen Jugoslawien (Bosnien) in die Schweiz eingewandert sind. Die Teilnehmer*innen im Alter von 18 bis 26 Jahren waren meistens in der Schweiz geboren oder als kleine Kinder mit ihren Familien in die Schweiz eingewandert. Diese Jugendlichen hatten einen bosnisch-muslimischen Hintergrund und zeichneten sich durch unterschiedliche Bildungswerdegänge sowie sozio-ökonomische Hintergründe aus. Die Diskussion wurde moderiert und es ging explizit um die Frage, ob die Geschichte der Jugoslawienkriege in den Schweizer Lehrplan aufgenommen werden sollte. Alle Diskussionen und Gespräche fanden in Schweizerdeutsch statt und wurden ins Hochdeutsche transkribiert. Sie wurden anonymisiert und mit der Inhaltsanalyse nach der Grounded-Theory-Methode (Strauss/Corbin 1998) ausgewertet.
Das nachfolgende Kapitel führt in (erkenntnis-)theoretischer Hinsicht in das Thema ein. Danach folgt in Kapitel 3 und 4 die Darstellung der Ergebnisse aus den Gruppendiskussionen. Diese werden im 5. Kapitel zusammengefasst und weiterführend diskutiert, bevor im letzten Kapitel mögliche Ansätze in Bezug auf die Diversifizierung der Bildungsinhalte präsentiert werden.
2. Jugend, plurale Erinnerungen und schulische Narrative
Junge Menschen, die aufgrund ihrer familiären Migrationsgeschichte, Bezüge zu mehreren geographischen und kulturellen Räumen haben, werden oft als „Jugendliche mit Migrationshintergrund“ definiert. Dabei werden unter diesem Begriff verschiedene Gruppen und Generationen subsumiert – nicht nur die „klassische“ zweite Generation (in der Schweiz wird u. a. der Begriff „Secondos/Secondas“ verwendet),[4] sondern auch die dritte oder die verschiedenen Generationen dazwischen, wie z. B. die 1.5-Generation,[5] oder Kinder, deren Eltern verschiedenen Generationen angehören (z. B. ein Elternteil der ersten, das andere der zweiten Generation). Diese Begrifflichkeiten sind wiederholt aufgrund ihrer „migrantisierenden“ Wirkung (Mecheril 2003; Dahinden et al. 2021) und des Rückgriffes auf die rassialisierte Logik der „Vererbung“ des Migrationshintergrundes (Hill/Yildiz 2018) in Kritik geraten. Als Alternative wird der Begriff „postmigrantische Generation“ vorgeschlagen, der die Dichotomie zwischen „Migrant*in“ und „Nichtmigrant*in“ aufbricht und den Zustand des Dazwischenseins, der Ambiguität und der Disruption zum Ausdruck bringt (Ohnmacht/Yildiz 2021, 150 ff.). In Anlehnung an die postkoloniale Theorie betont der Begriff „postmigrantisch“ die Normalität von Mehrfachzugehörigkeiten, Ambiguität und fluktuierenden Positionierungen (Ohnmacht/Yildiz 2021, 151 ff.).
Die spezifischen Erfahrungen und Positionen dieser postmigrantischen Generation sind auch durch ihre Familienbiographien und die Tatsache gekennzeichnet, dass ihre Eltern/Grosseltern in anderen historischen und politischen Kontexten sozialisiert wurden. Für einen Teil war die politische Geschichte des Herkunftslandes – Bürgerkrieg, Verfolgung, politisches Regime oder auch eine wirtschaftliche Krise – ein Auslöser für die Migration. Georgi (2008, 135) stellt hierzu die folgenden Fragen: „Was geschieht mit Geschichte, wenn Menschen migrieren?“ – „Nehmen Menschen ihre Geschichte(n) gewissermaßen im Gepäck mit? Wann, wie und wem werden die Geschichten erzählt?“
In der familiären, intergenerationalen Tradierung werden diese Geschichten nicht immer direkt und explizit vermittelt, sondern öfters verschwiegen oder „untervermittelt“ (Bloch 2018; Müller-Suleymanova 2023, 2024a). Junge Menschen bekommen oft nur Fragmente mit, kurze Geschichten, die oft als moralische „Lektionen“ aus der Vergangenheit ihrer Eltern formuliert werden; sie belauschen einige Gespräche zwischen Familienmitgliedern; sie haben Begegnungen mit der Vergangenheit, wenn sie das Herkunftsland ihrer Eltern besuchen oder wenn sie Medien nutzen. Auch wenn sie nicht aktiv danach suchen, können diese Geschichten immer wieder in ihren Alltag „durchsickern“. Der Koffer ist also da, um die Metapher von Georgi zu verwenden, und in dem Sinne sind die jungen Menschen nicht leere Gefässe, die mit beliebigen Inhalten gefüllt werden können. Die Schulinhalte werden von ihnen aus einer bestimmten Position heraus wahrgenommen, die sie auch aufgrund ihrer eigenen und ihrer Familienbiografie eingenommen haben. So wurde das insbesondere von Autor*innen thematisiert, die u. a. untersucht haben, wie sich Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland mit dem Thema Holocaust beschäftigen (Georgi 2003; Gryglewski 2010). Dabei wurde deutlich, dass die eigene Familiengeschichte und -biografie einen grossen Einfluss auf die Art und Weise hat, wie junge Menschen sich mit dem Holocaust auseinandersetzen.
Während die Geschichte der Migration und einzelnen Diaspora-Gemeinschaften in den Schweizer Schulen nicht systematisch thematisiert wird, kommt sie doch durch verschiedene Kanäle und in verschiedenen Formen in den Schulunterricht hinein.[6] So hat das Forschungsprojekt zu jungen Erwachsenen mit Bezug zum ehemaligen Jugoslawien, in dessen Rahmen eine der Gruppendiskussionen stattfand, gezeigt, dass viele Jugendliche während ihrer Schulzeit verschiedene Arbeiten, darunter auch Maturaarbeiten, zum Thema der Jugoslawienkriege und der Migration aus dem ehemaligen Jugoslawien in die Schweiz verfasst haben (Müller-Suleymanova 2023). Auch die Verstrickungen der Schweiz im Kolonialismus haben zunehmend wissenschaftliche Aufmerksamkeit und öffentliche Anerkennung erfahren (Fischer-Tine/Purtschert 2015; Schär 2016). Die Thematik des Rassismus in der Schule und rassistische Darstellungen in Schulbüchern sind aufgegriffen worden (Abou Shoak/El-Maawi 2020; Affolter/Sperisen 2023). Die Diskussion um pluralistische und multidirektionale Erinnerungen (Rothberg 2014) wird auch in der öffentlichen Debatte in der Schweiz sichtbarer (Schär 2016; Jain 2020; Marti 2021).
Die öffentliche Bildung steht also vor der Aufgabe, die historische und politische Bildung zu diversifizieren, andere Geschichten und Narrative einzubringen, darunter vor allem die Geschichte der Migration. Die erziehungswissenschaftliche Forschung im deutschsprachigen Raum wendet sich schon länger der Frage der Diversifizierung der Bildungsinhalte zu (Georgi/Ohliger 2009; Georgi et al. 2022). So argumentiert Georgi (2009, 106), dass der „nationalgeschichtlich geprägte Geschichtsunterricht sowie die Gedenk- und Erinnerungsarbeit gleicher Prägung sich interkulturell öffnen müssen“; sprich: „dass die dominanten geschichts-, erinnerungs- und identitätspolitischen Diskurse der Mehrheitsgesellschaft quasi durch das Prisma Diversity gebrochen und neu geordnet werden müssen“. Solch eine Sichtbarmachtung schafft das Gefühl der Anerkennung, Akzeptanz und gesellschaftlichen Partizipation; oder nach Georgi und Ohliger (2009, 12):
Zur gesellschaftlichen Teilhabe gehört auch die Selbstverortung durch Auseinandersetzung mit Geschichte. Dabei muss das Individuum sich seiner Geschichte in mindestens zweierlei Hinsicht vergewissern: mit Blick auf die je individuelle Lebensgeschichte und in Bezug auf die Geschichte der historischen Gruppen, denen man sich zugehörig fühlt.
3. Die Perspektiven der postmigrantischen Generation auf Bildungsinhalte und historische Narrative
In den Gruppendiskussionen mit den Jugendlichen zu ihren Erfahrungen des Aufwachsens als „zweite Generation“ wurde der Begriff „Integration“ besonders häufig genannt. Die Jugendlichen äusserten das Gefühl, unter Druck zu stehen, mehr leisten, sich beweisen und „integrieren“ zu müssen, obwohl sie in der Schweiz geboren und/oder aufgewachsen sind. Sie erleben die „Integration“ als „Assimilation“: dass ihre „Wurzeln“ und „Kultur“ (in den Worten der Jugendlichen) ausgeblendet und abgewertet werden. Wie es eine der Teilnehmerinnen zum Ausdruck brachte: „Es ist so – du bist ein Apfel, und die zwingen dich eine Banane zu sein.“ Diese Ausblendung nehmen sie auch im Schulunterricht wahr, in der Art und Weise, wie und welche Themen im Schulunterricht behandelt werden:
P4: Alles, was wir in der Schule lernen, zum Beispiel Geschichte, ist irgendwie nur europäische Geschichte. P1: Ich finde, es fehlt in der Bildung, ich glaube, das wissen sie auch, man kann den Lehrern nicht die Schuld geben ... Aber ich finde, da fehlt in der Geschichte etwas. Vor allem, seitdem ich älter geworden bin und selbst über Geschichte in Büchern gelesen habe, über meine Vorfahren und allgemein, über die Welt! Es ist nicht nur ... Im ersten Jahr Geschichte nehmen wir immer die Deutschen und Franzosen [durch] ... Aber es ist ja viel mehr gewesen! P3: Definitiv, ich verstehe schon, dass man Schweizer Geschichte in der Schule durchnimmt. Ich finde, wir nehmen es fünf Mal durch. P5: Ja, das stimmt! Ja, könnte man andere Male andere Themen durchnehmen? Im Geschichtsunterricht, Oberstufe zum Beispiel, einmal hast du Afrika durchgenommen und dort ist es über Sklaverei gegangen. P4: Voll! P5: Und nichts mehr. P3: Und Zweiter Weltkrieg? Waren ja nicht nur die grossen Mächte beteiligt, asiatische Länder waren auch beteiligt! P1: Genau! Man redet nicht mal darüber . [7]
So problematisieren die Jugendlichen, dass die Geschichte einseitig auf die europäischen Mächte, auf „Franzosen und Deutschen“ eingeschränkt wird, die Schweizer Geschichte vertieft und mehrmals durchgenommen wird, während die Geschichte anderer Teile der Welt gar nicht zur Sprache kommt oder nur knapp. Auch die Weltgeschichte, z. B. des Zweiten Weltkrieges, wird eurozentriert, von anderen Teilen der Welt isoliert, dargestellt. Dabei interessieren sich die Jugendlichen auch für die Geschichte ihrer Herkunftsregionen. So hat eine Teilnehmerin ausgeführt, dass sie sich in der letzten Zeit viel mehr für die Geschichte ihrer „Vorfahren“ (Begriff der Teilnehmerin), die Geschichte des Kosovo, interessiert und sich darüber mehr informieren will; vor allem darüber, wie und warum ihr Vater aus dem Kosovo geflüchtet ist.
Die Jugendlichen thematisierten auch die Art und Weise, wie die Geschichte bestimmter Teile der Welt dargestellt wird, so am Beispiel Afrikas und der Sklaverei. So erzählte eine junge Frau mit afrikanischem Hintergrund [8] über ihre Schulzeit und die Darstellungen Afrikas, mit denen sie im Geschichtsunterricht konfrontiert wurde. Wenn von der Geschichte Afrikas die Rede war, dann meist im Zusammenhang mit der Geschichte der Sklaverei und des Sklavenhandels, als ob die Geschichte Afrikas nur daraus bestünde: „Das ist spannend, weil man dann das Gefühl hat, die Geschichte Afrikas fängt beim Sklavenhandel an, obwohl das viel tiefer ist.“ [9]
Sie erzählte, dass es an ihrem Gymnasium zwar einen Lehrer gab, der die Geschichte des Kongos unter belgischer Kolonialherrschaft erwähnte, was wichtig war, da die Geschichte Afrikas in ihren Augen eng mit der europäischen Geschichte verbunden ist. Gleichzeitig hätte sie sich gewünscht, dass die Geschichte des Widerstandes und der antikolonialen Bewegungen in Afrika auch vermittelt worden wäre:
Und dann habe ich in der Klasse auch erzählt, dass es Aufstände gegeben hat. Lumumba war ein Kämpfer und ein Held. Solche Dinge sind wichtig. Das sind Menschen, die für ihre Rechte eingestanden sind und leider dafür büssen mussten. Ich habe meinem Lehrer auch gesagt, dass ich es schön fände, wenn solche Themen ebenfalls behandelt werden würden. Denn Afrika ist ein sehr grosser Teil der europäischen Geschichte.
So problematisiert diese junge Frau, dass die Geschichte Afrikas eindimensional als Geschichte der Sklaverei dargestellt wird. Analog dazu betonen auch Affolter und Sperisen (2023, 37) in ihrer Analyse von Schweizer Lehrmitteln sowie andere Studien aus dem deutschsprachigen Raum (Weinhäupl/Markom 2010; Marmer/Sow 2015), dass Afrika in den Lehrmitteln meist „geschichtslos“, als Kontinent des Elends und mit Narrativen der Afro-Romantisierung bzw. des Afro-Pessimismus beschrieben wird. Im Gegenzug ist es für die junge Frau wichtig, die Geschichte Afrikas nicht nur als eine Geschichte der Sklaverei und des Elends zu erzählen, sondern auch als eine Geschichte des Widerstands, der anti-kolonialen Bewegungen und des Kampfes um Unabhängigkeit. Durch die Darstellung von Persönlichkeiten wie Patrice Lumumba werden politischer Widerstand und Aktivismus Teil der Erzählung, in der Menschen in Afrika politische Handlungsfähigkeit (agency) und Subjektivität wiedererlangen. Sie ermöglichen damit eine de-koloniale Repräsentation Afrikas und afrikanischen Geschichte.
Ein weiteres Beispiel dafür, wie junge Menschen die blinden Flecken im Lehrplan wahrnehmen und problematisieren, kommt aus der Gruppendiskussion mit Jugendlichen, deren Eltern aus Bosnien eingewandert sind. Die aus dem ehemaligen Jugoslawien stammende Bevölkerung stellt eine der grössten Diasporagemeinschaften in der Schweiz dar. Während ein Teil davon im Rahmen der Arbeitsmigration in den 1960er- und 1980er-Jahren in die Schweiz kam, kam ein anderer Teil als Folge des gewaltsamen Zerfalls Jugoslawiens, insbesondere der Kriege in Bosnien (1992–1995) und im Kosovo (1999–2000). Ihre Nachkommen machen einen grossen Teil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Schweiz aus (Fibbi 2015; Müller-Suleymanova 2023, 2024a) und sind in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens der Schweiz sichtbar. Trotzdem wird weder die Geschichte dieser Region noch die Migrationsgeschichte aus dieser Region in den Schulen systematisch behandelt, wie auch die unteren Ausführungen der Jugendlichen verdeutlichen (siehe für eine detaillierte Analyse der Lehrmittel Thyroff [2020]).
Was die Diskussionsteilnehmer*innen in Bezug auf Schulunterricht enthüllen und problematisierten, ist, dass der Zerfall Jugoslawiens und vor allem das Thema des Völkermords von Srebrenica fast nie in der Schule vorkamen. Auch hier fiel den Jugendlichen die Diskrepanz auf: Während die Schweizer Geschichte und die Geschichte des Zweiten Weltkrieges, vor allem auf die europäischen Grossmächte reduziert, im Schulunterricht viel Zeit in Anspruch nahm, wurde die Geschichte eines jüngeren blutigen Krieges und Völkermordes im europäischen Raum ausgelassen. Die Jugendlichen äusserten Betroffenheit darüber, dass viele ihrer Mitschüler*innen noch nie vom Genozid in Srebrenica gehört hatten, obwohl dies in geographischer Nähe und vor knapp 30 Jahren stattgefunden hat:
P1: Bei mir ist es so eigentlich, dass, wenn man ein Wort „Srebrenica“ sagt, es niemanden etwas sagt. Aber es ist nicht etwas, das weit weg oder vor langer Zeit passiert ist. Ich habe zwei Exkursionen nach Genf gemacht, ins Museum des Roten Kreuzes, und dort hängt auch ein sehr grosses Tuch mit dem Wort „Srebrenica“ darauf. Ich dachte: Wow! Ich war total fasziniert, und meine Klassenkameraden fragten: ‚Was ist das?‘ Man muss sich ja nicht zu sehr vertiefen, aber ich finde, das Wort „Srebrenica“ sollte jedem etwas sagen.
Eine weitere Teilnehmerin bekräftigte, dass diese Ausblendung auch auf der höchsten politischen Ebene stattfindet. So führt sie aus:
Ja, in der Schule… Als der Krieg in der Ukraine losgegangen ist und der Bundesrat gesagt hat, dass es der grösste Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg sei, hat mich das betroffen gemacht. Ich hatte das Gefühl, dass die Geschichte meines Vaters und meines Grossvaters nichts wert ist. Es ist traurig, dass Srebrenica während meiner Gymnasialzeit nie thematisiert wurde.
Die Jugendlichen weisen demnach sowohl auf die Ausblendung der Jugoslawienkriege auf politischer Ebene sowie auf die Nichtbehandlung der Thematik in der Schule hin. Dabei sehen viele Jugendliche Parallelen zwischen Srebrenica sowie anderen Massakern während dem Bosnienkrieg und dem Holocaust. Sie weisen darauf hin, dass es während des Bosnienkrieges mehrere Konzentrationslager (für die bosnisch-muslimische und die kroatische Bevölkerung) eingerichtet wurden und auch die nichtserbische Bevölkerung sich durch besondere Zeichen (weisse Bänder) zu kennzeichnen hatte. Für sie hat der Genozid von Srebrenica nicht nur eine persönliche, biographische Relevanz, sondern eine universal menschliche Bedeutung. Somit müsste es ihrer Meinung nach ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Geschichtserzählung und des Schulwissens sein.
Während die Jugoslawienkriege und die damit verbundene Migrationsgeschichte nicht systematisch im Geschichtsunterricht an Schweizer Schulen behandelt wird, findet das Thema durch eigene Initiative der Schüler*innen Eingang in den Unterricht. Ob für Maturaarbeiten oder andere schulische Projekte, Jugendliche mit Bezug zum ehemaligen Jugoslawien wählen dieses Thema nicht nur, um mehr und systematischer über „ihre“ Geschichte zu erfahren, von der sie nur bruchstückhaftes Wissen haben (Müller-Suleymanova 2023, 2024a), sondern auch, um ihre Mitschüler*innen zu informieren, wie es eine Teilnehmerin in der Gruppendiskussion betonte:
ch teile grundsätzlich die Meinung [dass man es in der Schule vermitteln sollte; Ergänzung der Autorin] und ich finde es sowohl lustig als auch traurig und spannend, dass jeder von uns durch den Wunsch, den Schulkolleg*innen und Lehrpersonen etwas beizubringen, bereits irgendeine Arbeit zum Krieg, zu Srebrenica, zu diesen ganzen Spannungen geschrieben hat und versucht, einen Teil dieser Geschichte in das Schulleben einzubringen.
Durch dieses Engagement der Schüler*innen kommt das Thema in den Schulunterricht. Allerdings birgt dieses Vorgehen einige problematische Seiten und Herausforderungen, welche in den Gruppendiskussionen angesprochen wurden. Die Aufgabe und die Verantwortung der Vermittlung dieser schweren und höchst komplexen Inhalte liegt dabei nicht auf den Lehrer*innen und der Schule sondern auf einzelnen Schüler*innen. Die Jugendlichen merken an, dass, wenn sie die Geschichte von Srebrenica oder auch anderen Massakern während des Bosnienkrieges präsentieren, sie dies aus ihrer Position als betroffene Gruppe tun (und teilweise auch direkt betroffen durch Erlebnisse der Familie). In diesem Zusammenhang berichten sie, dass sie nicht selten von anderen Schüler*innen mit dem Vorwurf konfrontiert werden, „nicht neutral“ zu sein, aus der betroffenen Perspektive zu sprechen oder die Geschehnisse „einseitig“ zu präsentieren. Den Völkermord von Srebrenica von der „anderen Seite“ zu betrachten, hiesse aber für diese junge Menschen, den Völkermord zu relativieren oder sich mit den Ansichten der anderen Seite, der „Täterseite“ auseinanderzusetzen, von denen ein Teil den Völkermord leugnet oder relativiert (Malešević 2015). Es bedeutet also, den Völkermord zum Gegenstand von Debatten, Kontroversen und Infragestellungen zu machen. So argumentieren die Jugendlichen, dass analog zum Holocaust auch der Völkermord von Srebrenica unumstritten sein sollte.
4. Ausgelassene Geschichten und deren Auswirkungen
Im vorangegangenen Kapitel des Beitrages wurden die Sichtweisen der jungen Menschen auf die in der Schule vermittelten Geschichtsinhalte dargestellt. In diesem Kapitel geht es um die Frage, wie sich diese Darstellungen auf junge Menschen auswirken. Die Aussagen aus den Gruppendiskussionen zeigen, dass die Jugendlichen auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlicher Weise davon betroffen sind.
So brachten die Jugendlichen in der (gemischten) Gruppendiskussion den Begriff „disassociation“ (Originalbegriff, den sie so verwendet haben) ein, als Ausdruck für das Gefühl der Abgrenzung und Distanzierung von den eigenen kulturellen Hintergründen, welches mit dem Prozess der „Integration“ einherging. Eine Teilnehmerin erzählte, dass sie irgendwann in ihrer Adoleszenz eine gewisse Distanz zu ihren „tamilischen Wurzeln“ (Begriff der Teilnehmerin) entwickelt hatte, sodass sie alles „Schweizerische“ bevorzugte und sich für ihren tamilischen Hintergrund (Musik, Essen, Aussehen) schämte: „Ich dachte, das will ich nicht. Ich will Jeans, glatte Haare, ‚normales‘ Essen.“ Dieses Bestreben, „normal zu sein“, möglichst der (Schweizer) Norm zu entsprechen und dabei den eigenen Hintergrund abzuwerten, war für einen Teil der Jugendlichen ein wesentlicher Bestandteil des Aufwachsens. Dabei ging es darum, dass ihr kulturelles „Gepäck“ und die Diversität, die sie mitbringen, abgewertet werden, obwohl die Schweiz ihre „traditionelle“ Vielfalt zelebriert:
P1: Wir wollen uns nicht einfach assimilieren und unsere Herkunft einfach vergessen. Forscherin: Also, es ist wichtig, dass eure Geschichten integriert werden? P1: Genau, dass sie auch sichtbar sind, gebraucht und auch genutzt werden; dass Schweizer auch die Kultur der anderen sehen. P2: Ich finde einfach, die Schweiz sagt immer, wir sind so vielfältig und wir haben so viele Sprachen.
Auch die vermittelten Afrika-Bilder haben Auswirkungen auf das Selbstbild der Jugendlichen und ihr Selbstwertgefühl:
Das ist spannend, weil man dann das Gefühl hat, die Geschichte von Afrika fängt beim Sklavenhandel an, obwohl das viel tiefer ist. Dann sieht man uns immer so... Ich weiss nicht genau, wie uns die Menschen sehen, aber sicher nicht gut… Also, wenn ich in der Klasse fragen würde, wer gerne dunkelhäutig wäre, würde wahrscheinlich niemand die Hand heben, weil sie wissen… dass ist nicht einfach, mit all diesen Vorurteilen.
Auch andere Studien zeigen, dass Schüler*innen mit afrikanischem Hintergrund von Afrika-Darstellungen in den Lehrmitteln betroffen und in diesem Zusammenhang rassistischen Erfahrungen ausgesetzt sind (Marmer/Sow 2015). Die Schule ist der Ort, an welchem Schüler*innen verschiedene Zugehörigkeitserfahrungen machen (Affolter/Sperisen 2023). Durch Identitätsmerkmale, wie Namen, äussere Merkmale usw., werden Menschen mit bestimmten Darstellungen und Geschichten in Verbindung gebracht, die für junge Menschen Quellen des Selbstwertgefühls oder umgekehrt der Stigmatisierung und des „Othering“ sein können (Suleymanova 2018, 2020; Affolter/Sperisen 2023).
Auch die „blinden Flecken“ können diese Stigmatisierung verstärken. So wird es den jungen Menschen mit Bezug zum ehemaligen Jugoslawien implizit vermittelt, dass die Geschichte ihrer Region nicht in die historische Erzählung der europäischen Geschichte gehört und damit auch nicht als Teil von Europa, sondern als „Anderes“ exkludiert wird (siehe auch Diskussionen zu Konstruktionen des „Balkan“ von Todorova [1994]).
Das Fehlen der Repräsentationen und Geschichten beschränkt sich nicht nur auf Schule und Bildungsinhalte. So wurde in den Gruppendiskussionen auch angesprochen, dass Jugendliche selten Menschen mit Migrationshintergrund in der Rolle von Lehrer*innen, Expert*innen und Meinungsträger*innen sehen. Obwohl die Klassen sehr divers sind, merken die Jugendlichen, dass wenig Lehrer*innen oder anderes Schulpersonal einen Migrationshintergrund haben. Folglich gibt es, wie mehrmals von den Jugendlichen angesprochen, wenig Vorbilder, die eine Inspiration oder ein Beweis dafür sein können, dass „man es auch schaffen kann“. Menschen mit Migrationsgeschichte sind selten Expert*innen, Politiker“innen oder andere öffentliche Personen, die Einfluss in der Gesellschaft haben und die öffentliche Meinung prägen. Solche Vorbilder sind wichtig für die Aufwertung der Zugehörigkeit – ebenso wichtig wie die Sichtbarmachung dieser Geschichten in den Schulinhalten. Denn damit trägt die Schule zur gesellschaftlichen Anerkennung und Akzeptanz bei.
5. Zugehörigkeit, Citizenship und die Vielfalt der Bildungsinhalte
Diese Diskussionen zeigen, dass junge Menschen sich nicht als Individuen „ohne Geschichte“ sehen. Die Mehrfachbezüge sowie die Verbindungen zu verschiedenen Regionen, kulturellen Kontexten und Geschichten lösen sich nicht im Kontext des Aufnahmelandes auf, sondern bleiben in den persönlichen Erinnerungen der Familienmitglieder oder in den kollektiven Erinnerungen und kulturellen Praktiken der Diasporagruppen erhalten, an denen die Jugendlichen teilnehmen (Müller-Suleymanova 2024b). Die Jugendlichen haben das Bedürfnis, mehr über die historischen und politischen Zusammenhänge zu erfahren, um so auch die Geschichte ihrer Familien, einschliesslich der Migration, besser einordnen und verarbeiten zu können. Wie die vorangegangene Diskussion gezeigt hat, hinterfragen die jungen Menschen auch die Sichtweise, dass sich die Geschichte nur „in Europa“ vollzogen hat (Chakrabarty 2001). Die Jugendlichen nehmen die in der Schule vermittelten Inhalte vor dem Hintergrund ihres – wenn auch fragmentierten – Wissens über die Familiengeschichte (und die Geschichte der Herkunftsregion) und anderer Wissensquellen wahr. Mit diesem Wissen verstehen sie, dass Geschichte auch „anderswo“ stattgefunden hat. Ihre Aussagen deuten auch darauf hin, dass sie in den diversen sozialen – auch online – Räumen, in denen sie sich bewegen, in Kontakt mit unterschiedlichen Narrativen und Diskursen kommen, die sich auf ihre Auseinandersetzung mit der Vergangenheit auswirken (Preite 2016; Ritter 2018). Die Schule ist damit nicht der einzige Ort, an dem sie sich ihr Wissen aneignen und ihre Meinung bilden. Wie Georgi (2003, 23) beschreibt, vollzieht sich die Herausbildung von historischer Identität nicht nur im Rahmen des „Lokalen“, sondern „zugleich im global village, einer grenzüberschreitenden Kommunikations-, Informations- und Medienwelt, die Geschichte unabhängig von Akteuren und Ereignisorten in einen erweiterten Rezeptions- und Reproduktionszusammenhang stellt“.
So lässt sich beobachten, dass für junge Menschen der historische Bezugsrahmen nicht nur der nationale ist oder nur auf den Nationalstaat beschränkt ist. Wie einige Autor*innen hervorgehoben haben, führt die transnationale Migration und Kommunikation zu neuen Formen und Arten des Erinnerns, die über nationale Bezugsrahmen hinausgehen und sich hin zu postnationalen, multidirektionalen oder auch transnationalen Erinnerungsdiskursen entwickeln (Georgi/Ohliger 2009; Rigney/Cesari 2014; Rothberg 2014; Ritter 2018). Wenn junge Menschen in diesen Kontexten der Diversität aufwachsen, entwickeln sie Beziehungen zu anderen jungen Menschen und werden mit anderen Vergangenheiten und Erfahrungen konfrontiert. In dieser postmigrantischen Realität, wie Foroutan (2018, 22 ff.) schreibt, entstehen neue Allianzen zwischen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Interessen:
Über familiäre Verflechtungen, Freundeskreise, schulische und berufliche Ausbildung, durch Vereine, Gewerkschaften und verschiedene Formen des zivilgesellschaftlichen Engagements entfalten und verbreiten sich neue Arten von Wissen. Diese neuen Verflechtungen können Empathie erzeugen und politische Einstellungen hervorbringen, auf deren Grundlage sogenannte postmigrantische Allianzen entstehen.
Solche Begegnungen und Allianzen, die oft auf gemeinsamen Erfahrungen von Diskriminierung, Ausgrenzung und Unsichtbarmachung beruhen, beeinflussen auch die Art und Weise, wie auf die Vergangenheit Bezug genommen wird und wie Erinnerungen gerahmt und interpretiert werden. So zeigt Féron (2024, 291) in ihrem Artikel über die Erinnerungen an den Völkermord in Ruanda bei jungen Ruander*innen der zweiten Generation, wie die Erinnerungen an den Genozid durch die Kontextualisierung in einer längerfristigen Geschichte des Kolonialismus sowie in eigenen Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung in Belgien eingebettet und dadurch neu interpretiert wird. Die zunehmende Prominenz des postkolonialen Diskurses zeugt davon, dass „im westlichen Erinnerungsdiskurs bislang marginalisierte Vergangenheiten, wie etwa der Kolonialismus, relevant werden und nach Aufarbeitung verlangen“ (Messerschmidt 2006, 9). Diese postkoloniale Wissensproduktion wird auch von der Teilnehmerin in der Gruppendiskussion angesprochen, als sie dafür plädiert, die Geschichte des antikolonialen Widerstandskampfes in Afrika sichtbar zu machen und sich dabei auf diese länderübergreifende, „panafrikanische“ Geschichte bezieht, anstatt auf die Geschichte des Herkunftslandes ihrer Eltern. Damit resonieren diese Ausführungen mit den aktuellen öffentlichen und akademischen Debatten über die Dekolonisierung der Wissensproduktion.
Diese Sichtweisen auf die Vergangenheit, die zwar nicht neu sind, aber von den postmigrantischen Generationen neu aufgegriffen werden, können sich auch auf die Identitätskonstruktionen junger Menschen auswirken. In seinem einflussreichen Essay „Cultural Identity and Diaspora“ stellt Hall (1999) die Identitätsbildung in einen Zusammenhang mit der Geschichte und den Erzählungen über die Vergangenheit.
Cultural identities come from somewhere, have histories. But, like everything which is historical, they undergo constant transformation. Far from being eternally fixed in some essentialised past, they are subject to the continuous „play“ of history, culture and power. [I]dentities are the names we give to the different ways we are positioned by, and position ourselves within, the narratives of the past. (Hall 1999, 224)
Identitätskonstruktionen werden demnach ständig neu ausgehandelt, indem man sich zu den Erzählungen über die Vergangenheit neu positioniert. Hall zufolge können einige Geschichten wiederentdeckt werden, und einige „verborgene Geschichten“ spielten eine entscheidende Rolle bei der Entstehung vieler der wichtigsten sozialen Bewegungen unserer Zeit – feministische, antikoloniale und antirassistische Bewegungen (Hall 1999, 224). So positionieren sich auch junge Menschen in diesem ständigen Aushandlungsprozess von Zugehörigkeiten und gestalten bzw. bringen ihre Mehrfachzugehörigkeiten entgegen dem ethno-nationalen Rahmen zum Ausdruck (Mecheril 2003). In Reaktion auf neue Narrative und Diskurse über die Vergangenheit entstehen und entwickeln sich andere Formen der Ausübung von Citizenship und Aktivismus. Ein Beispiel für das Aufgreifen und die Aufarbeitung von zuvor wenig beachteten Vergangenheiten durch nachfolgende Generationen in der Schweiz ist etwa die Geschichte der Schwarzenbach-Initiative in den 1970er-Jahren. Diese verdrängte oder vergessene Geschichte wurde teilweise von jungen Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen aufgegriffen und durch verschiedene Initiativen (Kunst, Literatur und Wissenschaft) aufgearbeitet (Jain 2020; Falk 2022). Diese neu verhandelten Beziehungen zur Vergangenheit bringen auch neue Formen zivilgesellschaftlichen und politischen Handelns hervor. Wie Féron (2024, 291) es formuliert, entstehen neue Formen der Ausübung einer aktiven Citizenship im „Hier und Jetzt“ im Gegensatz zum „Dort und Damals“.
6. Schlusswort: Implikationen für den Schulunterricht
In der formellen Bildung geht es nicht nur um das Erlernen der wichtigsten gesellschaftsrelevanten Kompetenzen für soziale Mobilität und Integration in die Gesellschaft. Schule ist ein wichtiger Ort, an welchem Jugendliche Zugehörigkeiten und Teilhabe erfahren und erleben. Es ist wichtig, dass sie sich mit ihren vielfältigen Geschichten und kulturellen Hintergründen anerkannt und schliesslich auch akzeptiert fühlen. In diesem Zusammenhang gibt es eine Reihe von Herausforderungen, wie z. B. die Frage, welche Migrationsgeschichten und politische Geschichten von Diasporagruppen und Regionen behandelt werden. So Ohliger (2009, 117): „Historisches Lernen und Lehren in der Einwanderungsgesellschaft, vor allem in der Schule, wird es nicht schaffen, alle Einwanderergruppen mit ihren Herkunfts- und Nationalgeschichten auch nur annähernd gleichrangig sichtbar zu machen.“ Diese unterschiedlichen Erinnerungen in den öffentlichen Raum zu bringen und sichtbar zu machen, könnte das hervorbringen, was als „competing memories“ oder als „culture of competing catastrophes“ bezeichnet wurde, wobei verschiedene ethnische Gruppen um die Sichtbarmachung ihrer Geschichte konkurrieren, wie es in den USA der Fall war (Young 1999, zitiert nach Georgi 2009, 132).
Es ist auch den Jugendlichen, die in Forschungsprojekten teilgenommen haben, klar, dass die Geschichten sämtlicher Weltregionen im Lehrplan nicht behandelt werden können. Dennoch ist es wichtig, dass die Schule nicht weiterhin stereotypisierte Inhalte oder Unsichtbarkeiten reproduziert, die Othering und Rassismus verstärken. Eine weitere Herausforderung besteht auch darin, die historischen Narrative nicht nur auf die „ethnische“ oder „nationale“ Geschichte zu beschränken und somit auch die „natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit“ (Mecheril 2003) als einzige Form der Zugehörigkeit für junge Menschen festzuschreiben. Die möglichen Lösungen für diese Herausforderungen wurden u. a. auch als multiperspektivische Geschichtsvermittlung (Ohliger 2009) oder als interkulturelle Beziehungsgeschichte(n) (Georgi 2008) vorgeschlagen, wofür sich insbesondere biographische Erzählungen/Lebensgeschichten sehr gut eignen. Dabei geht es um „das systematische Herausarbeiten von Interdependenzen, Überschneidungen und Zusammenhängen unterschiedlicher Kollektivgeschichten“, wobei „[ü]bergreifende, unterschiedliche Geschichten sowie verbindende biographische Erzählungen […] eine Schlüsselrolle einnehmen“ (Georgi 2008, 145 ff.). Der nationalstaatliche Rahmen bliebe zwar der Raum, in dem diese Bezüge sichtbar gemacht werden, „zugleich aber ist er auch der Raum, den es zu überschreiten gilt, will man sich zu den Geschichte(n) der anderen in Beziehung setzen“ (Georgi 2008, 145). Und so ist die multiperspektivische Migrationsgeschichte zugleich auch die anders erzählte Geschichte der Mehrheitsgesellschaft selbst: „Dies fängt bei der Geschichte der Migrationspolitik und -steuerung an, erstreckt sich aber vor allem auch auf den sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Wandel, der durch Migration bewirkt wird“ (Ohliger 2009, 115).
Danksagung: Ich danke herzlich allen Jugendlichen, für ihre Teilnahme an den Gruppendiskussionen und für das Teilen ihrer Erfahrungen und Ansichten. Auch zwei anonymen Gutachter*innen danke ich herzlich für die wertvollen Kommentare.
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[1] Dies gilt für die Schweiz. In Deutschland sowie auch in Österreich wurde das Thema in mehreren Studien aufgegriffen und behandelt (vgl. Georgi 2003; Georgi/Ohliger 2009; Gryglewski 2010; Hintermann et al. 2014; Üllen/Markom 2016; Yildirim 2018).
[2] Der Begriff „zweite Generation“ wird weiter unten ausgeführt. In den beiden Projekten waren es junge Menschen, die in der Schweiz geboren oder als kleine Kinder migriert sind.
[3] Es handelt sich um das Projekt „Biographische Auseinandersetzungen mit dem Ursprungsland und Migrationsgeschichten bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen der 2. Generation (ehemaliges Jugoslawien und Türkei)“, finanziert vom Schweizerischen Nationalfonds (2017–2022) und um das Projekt „Zweite Generation im Kanton Zug. Eine partizipative Angebotsentwicklung. 2022–2023“. Das Thema des vorliegenden Beitrages stand nicht im Mittelpunkt der beiden Projekte, hat sich aber aus dem Forschungsprozess ergeben.
[4] Die gängige Definition der zweiten Generation umfasst junge Menschen, die entweder im Aufnahmeland geboren wurden oder in ihrer frühen Kindheit eingewandert sind und den grössten Teil ihrer schulischen Sozialisation im Aufnahmeland erfahren haben (Juhasz/Mey 2003; Fibbi 2015).
[5] Die 1.5-Generation von Migrant*innen wird als die Gruppe jener Personen definiert, die im Herkunftsland geboren sind und dort ihre prägenden Jahre verbracht haben, aber als Jugendliche migriert sind und im Aufnahmeland weiter sozialisiert wurden (Rumbaut 2004; Paul 2024).
[6] Zwar gibt es in der Schweiz nur vereinzelt systematische Studien darüber, ob und in welcher Weise migrationsspezifische Themen in den Schulen der Schweiz behandelt werden (vgl. z.B. Affolter/Sperisen 2023 und Thyroff [2020] zum Thema der Kriege im ehemaligen Jugoslawien).
[7] Übersetzung aus dem Schweizerdeutschen. P1-P5 steht für die Diskussionsteilnehmer:innen.
[8] Die Eltern dieser jungen Frau stammten aus zwei verschiedenen Ländern in Afrika und sie hat sich bewusst als Person mit afrikanischem Hintergrund positioniert.
[9] Das vollständige Zitat findet sich im unteren Abschnitt.
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