Rezension zu: Funck, B. Johanna (2024): Migration und Recht auf Bildung. Die Rolle des Aufenthaltsstatus beim Zugang zum Schulsystem. Bielefeld: transcript

354 Seiten, ISBN: 978-3-8376-7302-9, Print: 50,00 €, Open Access

Sezen Çakmak

Spätestens seit der Veröffentlichung der ersten PISA-Studie im Jahr 2001 stellt das Verhältnis von Migration und Bildung ein bedeutsames Thema im bildungspolitischen und schulischen Diskursfeld dar. Zentral in diesen Narrationen ist die kulturalisierende und defizitorientierte Konstruktion von sogenannten „Eltern mit Migrationshintergrund“, die sich durch problemfixierte sowie verbesondernde Anrufungen kennzeichnet. Während migrationsandere Eltern für die Bildungsbiographien ihrer Kinder responsibilisiert werden, bleiben strukturelle und institutionelle Barrieren, welche die Bildungsteilhabe von migrantisierten Kindern erschweren, weitgehend unbeachtet. Die Dissertationsschrift von B. Johanna Funck gehört zu jenen Studien, die mit diesem Narrativ brechen, indem sie die Perspektiven migrierter Eltern zentral verortet und eine gegenhegemoniale Betrachtung des elterlichen Handelns im Kontext Schule „als handlungsfähige, aktive Akteur*innen“ (S. 92) ermöglicht. Die Erfahrungen, Ressourcen und Aspirationen der Eltern sind dabei Ausgangspunkt einer multiperspektivischen Forschung und erhalten im Rahmen der Promotionsstudie einen zentralen Artikulationsraum, um darauf basierend das Augenmerk auf die Institutionen und strukturellen Rahmenbedingungen zu legen.

Untersucht wird die Umsetzung des Rechts auf Bildung im Kontext von Migration und unterschiedlichen aufenthaltsrechtlichen Positionen. Funck geht der Frage nach, wie der menschenrechtlich gebotene Bildungsanspruch für Kinder und Jugendliche im Kontext von Migration umgesetzt wird. Hierzu richtet sie den Blick auf verschiedene Faktoren, die den Zugang zum Schulsystem beeinflussen, befördern oder verhindern sowie auf Schulplatzierungsprozesse innerhalb weiterführender Schulen.

Die Untersuchung wurde in der Stadtgemeinde Bremen durchgeführt und konzentriert sich auf den Zeitraum der Mitte der 2010er-Jahre. Den empirischen Rahmen bilden problemzentrierte Interviews mit migrierten Eltern, die sich in Bremen in verschiedenen aufenthaltsrechtlichen Positionen befinden. Befragt werden diese zu ihren Erfahrungen mit dem Schulzugangsprozess ihrer Kinder. Im Rahmen eines multiperspektivischen „Follow-the-People“-Designs wurden anschließend auf Grundlage der biographischen Erzählungen der Eltern (und Jugendlichen) die wesentlichen Etappen sowie relevante Institutionen und deren Akteur*innen identifiziert (u. a. Behörden, Schulleitungen, Bildungsmaßnahmen und Beratungsstellen). Diese Akteur*innen wurden daraufhin in die Forschung integriert, indem gezielte Interviews durchgeführt und zusätzliche Recherchen zu den Institutionen getätigt wurden. Ausgehend von der Besonderheit des individuellen Familienfalls wurde der Fokus auf die darin erkennbaren strukturellen sowie (migrations-)organisationalen Kontextbedingungen gerichtet, die sowohl auf nationalstaatlicher als auch lokalspezifischer Ebene wirksam sind.

Die Promotionsstudie ist im Anschluss an die Einleitung in fünf Hauptkapitel und eine Schlussbemerkung gegliedert. Das 1. Kapitel widmet sich der Darstellung der theoretischen Perspektive. Zunächst wird das Spannungsfeld zwischen universalen Menschen- und Bildungsrechten sowie den nationalstaatlichen Differenz- und Zugehörigkeitsordnungen aufgezeigt. Darauf folgt eine historische Rekonstruktion von In- und Exlusionsprozessen sowie Beschulungspraktiken im Kontext von Migration, Nichtmitgliedschaften entlang von Staatsangehörigkeiten und natio-ethno-kulturellen Markierungen. Abschließend werden die in den 2010er-Jahren gültigen aufenthaltsrechtlichen Positionen und formalen Rechtsabstufungen dargelegt sowie Erkenntnisse aus der Bildungs- und Migrationsforschung zu Schulzugang und -platzierung in jenem Zeitraum zusammengeführt und diskutiert.

Das 2. Kapitel bietet eine profunde theoretische, methodologische und methodische Einordnung der Forschungsarbeit. Hierfür werden rechtssoziologische und diskriminierungs-theoretische Kontextualisierungen der Untersuchung dargelegt, die Methode „Follow-the-People“ vorgestellt sowie die methodische Vorgehensweise bei der Datenerhebung und -auswertung beschrieben.

Funck thematisiert im 3. Kapitel die lokalen Kontextbedingungen und die Fallauswahl ihrer Untersuchung. Dabei werden die Bremer Regelungen zur Schulpflicht sowie die Stellung der Gymnasien im Sekundarschulwesen betrachtet. Darüber hinaus werden die lokalen Rahmenbedingungen für den Schuleinstieg von Kindern und Jugendlichen, die ab Mitte der 2010er-Jahre im Sekundarstufe-I-Alter migriert sind, untersucht. Vor diesem Hintergrund wird ebenfalls die Bedeutung aufenthaltsrechtlicher Positionen für die Schuleinmündung erörtert. Zuletzt wird die Fallauswahl begründet.

Die individuellen familiären Erfahrungen mit den Prozessen des Schulzugangs und der Schulplatzierung werden im 4. Kapitel untersucht. Hierfür werden die Ereignisse in vier Familienfällen multiperspektivisch analysiert und durch den Vergleich mit weiteren familiären Erfahrungen kontextualisiert. Die Analyse zeigt, dass die Umsetzung des Rechts auf Bildung nicht allein durch die Verfügbarkeit von (Vorkurs-)Schulplätzen in einer Stadtgemeinde bestimmt wird. Es wird ersichtlich, dass weitere Aspekte wie u. a. aufenthaltsrechtliche und migrationsspezifische Rahmenbedingungen, struktureller Rassismus und Klassismus auf dem Wohnungsmarkt, residente Segregation sowie mangelndes Wissen der involvierten Akteur*innen über das uneingeschränkte Recht auf Bildung die Zugangsmöglichkeiten zur Schule negativ beeinflussen. Ebenso wird deutlich, dass ohne eine melderechtliche Registrierung sowie ohne soziales Kapital die Chancen auf eine zeitnahe Schulaufnahme gering sind. Die elterlichen Strategien im Umgang mit Wartezeiten auf Schulplätze variieren abhängig von den verfügbaren Ressourcen und Möglichkeiten. So bemühen sich die befragten Eltern beispielsweise, ihre Kinder individuell zu fördern und in ihrem Lernprozess zu begleiten (Kap. IV.2.5), oder setzen verschiedene Strategien ein, um die äußeren Bedingungen zu modifizieren und den Zugang zur Schule zu ermöglichen bzw. zu beschleunigen; sei es mittels hartnäckiger Kontaktaufnahmen mit Schulen bis zur erfolgreichen Aufnahme (Kap. IV.4.7) oder durch einen Wohnortwechsel zur Überwindung melderechtlicher Hindernisse (Kap. IV.1.3 und IV.2.6).

In der Schlussbetrachtung verweist Funck auf die Reichweite der empirischen Erkenntnisse der Studie, spricht sich für eine intensivere Einbeziehung der Perspektiven von Rechtsanspruchsberechtigten in der diskriminierungs- und rechtssoziologischen Forschung aus und formuliert weitere Forschungsbedarfe.

Mit ihrer Studie zeigt Funck eindrücklich, dass die Zusammenführung einer rechtssoziologischen und menschenrechtlich geprägten Forschungsperspektive mit einem diskriminierungstheoretischen Ansatz wichtige Erkenntnisse in Schulzugangs- und -platzierungsprozessen bietet. Durch die vielschichtigen Theoretisierungen und das multi-perspektivische Untersuchungsdesign gelingt es der Autorin, Beschulungspraktiken in nationalstaatliche und lokalspezifische schulbezogene sowie strukturelle Rahmenbedingungen der Migrationsgesellschaft einzubetten und diese in ihrem Gewordensein sichtbar zu machen. Zugleich werden differenzierte Einblicke in die individuellen Erfahrungswelten von migrierten Eltern sowie deren Gegen-, Widerstands- und Umgangsstrategien im Kontext Schule gewährt, wodurch defizitorientierte und problemfixierte Konstruktionen von migrierten Eltern dekonstruiert und biographische Erfahrungen mehrebenenanalytisch im Kontext von natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeitsordnungen reflektiert werden. Da intersektionale Marginalisierungserfahrungen von Eltern wenig Raum in Forschungsarbeiten finden, wäre es darüber hinaus bereichernd gewesen, wenn die Autorin neben den Kategorien natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, staatsbürgerschaftliche Nichtmitgliedschaft und Klasse auch weitere Differenzkategorien wie Geschlecht, Religionszugehörigkeit und Behinderung intensiver in ihre Analysen einbezogen und deren Einfluss auf die Umsetzung des Rechts auf Bildung näher beleuchtet hätte. Eine vertiefte intersektionale Analyse zu Macht- und Herrschaftsverhältnissen im Kontext von Beschulungspraktiken könnte wertvolle neue Erkenntnisse hervorbringen und Eltern sowie ihre Kinder im Spannungsfeld des schulischen Positioniertwerdens sowie der Selbstpositionierung differenziert abbilden. Doch auch ohne diese Erweiterungen überzeugt die Studie mit ihrer kritischen Untersuchung von Schulzugangs- und -platzierungsprozessen und bietet zahlreiche inspirierende theoretische und empirische Anknüpfungspunkte für weitere Forschungsvorhaben.